Wenn Druckgradienten die arktische Meereisbedeckung beeinflussen
Mit dem Fortschreiten des Sommerhalbjahres zieht sich das Meereis in den arktischen Breiten saisonal zurück. Welche Rolle spielen Luftdruckmuster bei einem durchaus ungleichverteilten Rückzug des Eises? Und wie entwickelt sich das Meereis in der winterlichen Antarktis nach dem Rekordminimum im vergangenen Jahr? Antworten liefern wir im heutigen Thema des Tages.
Der letzte Blick auf die Meeresbedeckung rund um die Polregionen liegt an dieser Stelle schon etwas zurück. Zeitlich gesehen näher wir uns Anfang Juli schon langsam der Mitte des nordhemisphärischen Sommer- und südhemisphärischen Winterhalbjahres an.
Zunächst schauen wir auf die Entwicklung in Arktis in den letzten Monaten. Am 13. März 2024 erreichte das arktische Meereis mit 15,12 Millionen Quadratkilometern seine maximale winterliche Ausdehnung in diesem Jahr. Dieser Wert war der vierzehntniedrigste seit Beginn der Satellitenaufzeichnungen im Jahr 1979. Nach dem Höchststand der Meereisausdehnung trat das Eis in der zweiten Märzhälfte zunächst nur langsam den Rückzug an. Verantwortlich dafür zeichnete sich das vorherrschende atmosphärische Zirkulationsmuster im März 2024. Dieses war gekennzeichnet durch einen starken Druckgradienten (hoher Druck bei Grönland steht niedrigem Druck über West- und Nordosteuropa gegenüber) über der Framstraße östlich von Grönland (siehe Abbildung 1). Aus dieser Konstellation resultierten starke Winde aus nördlichen Richtungen, womit ein reger Meereisexport aus der Arktis nach Süden begünstig wurde, sodass eine relativ hohe Flächenausdehnung über den arktischen Gewässern erhalten blieb.
Die Meereisverluste im April und Mai lagen insgesamt im Bereich des langjährigen Durchschnitts, wobei die größten Verluste im April im Beringmeer und im Ochotskischen Meer zu verzeichnen waren. Der Mai war vor allem durch eine ungewöhnlich frühe Öffnung der östlichen Hudson Bay gekennzeichnet. Ursächlich dafür dürfte die Luftdruckverteilung im Mai gewesen sein. Hoher Druck über dem kanadischen Archipel stand niedrigerem Druck südlich davon gegenüber. Dies bedingte vermehrt östliche Winde über der Hudson Bay, die das Meereis nach Westen drückten (siehe Abbildung 2).
Einschließlich des Mai 2024 beträgt der lineare Abwärtstrend der arktischen Meereisausdehnung für den Monat Mai 31.000 Quadratkilometer pro Jahr bzw. 2,3 Prozent pro Jahrzehnt im Vergleich zum Durchschnitt der Jahre 1981 bis 2010. Basierend auf dem linearen Trend seit 1979 hat der Mai 1,61 Millionen Quadratkilometer an Meereis eingebüßt, was in etwa der Größe von Alaska entspricht. Im Juni 2024 war vor allem in der ersten und dritten Dekade eine Beschleunigung des Meereisrückganges zu verzeichnen, während in der Monatsmitte der Eisverlust etwas langsamer von statten ging. Zum aktuellen Zeitpunkt beträgt die Meereisausdehnung 9,62 Millionen Quadratkilometer (01.07.2024). Visuell zeigt die folgende Animation den Meereisrückgang seit dem jahreszeitlichen Maximum Mitte März.
Von der Arktis legen wir nun gedanklich eine weite Strecke zur Antarktis zurück. Dort schreitet das Wachstum mit dem australischen Winter voran. Im Mai und Juni war die Wachstumsrate im Vergleich zum Durchschnitt der Jahre 1981 bis 2010 zwar langsam, aber immer noch viel schneller als im zurückliegenden negativen Rekordjahr 2023. Am 1. Juli betrug die antarktische Meereisausdehnung 13,12 Millionen Quadratkilometer, was 1,75 Millionen Quadratkilometer unter dem Durchschnitt der Jahre 1981 bis 2010 aber deutlich über der für den 01. Juli 2023 gemessenen Ausdehnung von 12,57 Millionen Quadratkilometern liegt. Die Eiskante im Mai und Juni lag viel weiter südlich (unter der durchschnittlichen Ausdehnung) im östlichen Rossmeer-Sektor und der Amundsen-See sowie nördlich von Dronning Maud Land. Im Weddellmeer und unmittelbar westlich des Rossmeeres war die Ausdehnung höher (weiter nördlich) als im Durchschnitt. Dies hat zu einem ungewöhnlich asymmetrischen Ausdehnungsmuster um den antarktischen Kontinent geführt.
Das Negativrekordjahr 2023 beschäftigt derweil weiterhin die Wissenschaft. Eine kürzlich veröffentlichte untersuchte das extrem niedrige antarktische Wintermaximum des vergangenen Jahres anhand von Modelldaten. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass ein solches Ereignis ohne Klimaerwärmung äußerst unwahrscheinlich ist. Wird der Treibhausgasantrieb mit einbezogen, wird das Ereignis wahrscheinlicher, ist aber immer noch selten. Die Modelle deuten darauf hin, dass es nach einem solchen extremen Tiefpunkt zu einer gewissen Erholung kommt, die in der Regel im folgenden Jahrzehnt eintritt, aber zu einer neuen, niedrigeren langfristigen durchschnittlichen Ausdehnung führt.
MSc.-Met. Sebastian Altnau
Deutscher Wetterdienst