Die Weichenstellung für die aktuell vorhergesagte Dauerregenlage
Im heutigen Thema des Tages sollen die Ursachen angesprochen werden, die unter anderem zur aktuellen Dauerregenlage geführt haben.
Regen, Regen und noch mehr Regen. Man hört davon dieser Tage immer wieder und nun gipfeln die Niederschläge nach dem Hochwasser im Saarland Mitte Mai gar erneut in eine überregionale Unwetterlage in Teilen Süd- und Ostdeutschlands. Über den Hintergrund, den Namen und die Auswirkungen dieser Wetterlage wurde bereits gestern ausführlich berichtet.
Gehen wir zunächst einmal einige Zeitschritte zurück und versuchen zu verstehen, wie es überhaupt zu dieser Ausgangslage kommen konnte. Die hier dargestellten Prozesse sind sehr komplex und dürften eigentlich auch nicht für sich alleine betrachtet werden, dank umfangreicher Wechselwirkungen untereinander. Der Übersicht wegen und einfachheitshalber soll das für dieses Thema des Tages jedoch ausreichen und wir betrachten dabei nur die Nordhemisphäre. Etwas ausführlicher wurde darauf in der DWD Mittelfrist vom 26. Mai eingegangen.
Der Grundstein für unser heutiges Ereignis wurde, wenn man so möchte, indirekt bereits Anfang März 2024 gelegt. Auch zu dieser Zeit dominierte, wie im Winter eigentlich üblich, der für diese Jahreszeit bekannte Polarwirbel in der Stratosphäre, ein riesiges Tiefdruckgebiet in großer Höhe über dem Nordpol. Dieses schwächt sich zum Frühjahr ab und löst sich auf, nur um sich im darauffolgenden Herbst erneut zu bilden. Wieso aber interessiert uns der März 2024?
Anfang März 2024 erfolgte in der eigentlich eisig kalten Stratosphäre eine rasante und nachhaltige Erwärmung. Die Erwärmung fiel so kräftig aus, dass sich der Polarwirbel abschwächen konnte und der sonst von West nach Ost wehende Polarnachtjet seine Richtung änderte und vorübergehend von Osten her wehte. Dies ist ein nicht unbekannter Vorgang und wird in der Meteorologie als "große Stratosphärenerwärmung" bezeichnet. Nun kann man sich sicherlich die Frage stellen: Was interessiert uns ein Vorgang, der sich vor mittlerweile fast 3 Monaten abgespielt hat? Dazu muss man wissen, dass die Vorgänge in der Stratosphäre lange "nachhallen" und sich im Verlauf ihres Auftretens sukzessive immer weiter nach unten in Richtung Troposphäre vorarbeiten können. Dieses sogenannte "Abtropfen" (wie Farbe, die bei einem Gemälde allmählich nach unten rinnt) kann in einigen Fällen sogar Auswirkungen auf die Troposphäre haben und sich ganz allgemein gesagt unter anderem durch eine Erhöhung der Wahrscheinlichkeit für hoch im Norden ansetzende langlebige Hochdruckgebiete zeigen. Diese wirken wie ein Stein im Fluss und sorgen für ein Auslenken der Höhenwinde u.a. nach Süden: Ausgeprägte und länger anhaltende Kaltluftausbrüche sind durch diese Konstellation möglich, aber mit Nichten ein Garant!
In unserem Fall fand dieses Ereignis recht spät im Winter statt. Üblicherweise findet das Abklingen des Polarwirbels in der Stratosphäre um den 12. April herum statt. In diesem Jahr trat das Ende des Wirbels aber erst Ende April ein (28. April) und der Polarwirbel konnte sich nicht mehr richtig erholen. Dieser Zustand kann nun auch nach dem Auflösen des Polarwirbels in der Stratosphäre bis weit ins Frühjahr nachhallen, denn was haben wir gehört: Das Gedächtnis der Stratosphäre ist ein großes. Somit war der Nährboden geschaffen für weit nördlich ansetzende und langlebige bzw. stationäre Hochdruckgebiete.
Dies hat sich in diesem Frühjahr eindrucksvoll bestätigt (siehe Bild 1). Wenn man die Abweichung des Geopotenzials in 500 hPa (grob gesagt der Druck in 5.5 km Höhe) für den Zeitraum von Ende April bis Ende Mai 2024 aufzeichnet, fällt einem ein massives Hochdruckgebiet (eine Antizyklone) über Skandinavien auf - ein sogenanntes "blockierendes Hochdruckgebiet". Sozusagen der letzte winterliche Gruß des bereits geschiedenen Winters 2023/2024.
In dieser Jahreszeit sind Blockierungslagen nicht nur mit Blick auf regionale Spätfröste ein Thema (bestätigt durch den spätwinterlichen Einbruch Mitte/Ende April 2024 in Deutschland mit zahlreichen Frostnächten), sondern auch mit Blick auf die Verlagerungsgeschwindigkeit der Tröge und Keile bzw. der diese begleitenden Tiefdruck- und Hochdruckgebiete. Auch jetzt gilt, dass sich die "Westautobahn" über dem Nordatlantik und Europa mit solch einer Blockierung nicht richtig etablieren kann und wir langlebige und sich kaum verändernde Druckmuster erwarten können. In diesem Fall mit tiefem Druck über der Biskaya und hohem Luftdruck über Skandinavien.
Solch eine Ausgangslage, die man dank der Entwicklungen auch schon recht frühzeitig mit Wahrscheinlichkeitsvorhersagen abschätzen kann, ist für uns Meteorologen zu dieser Jahreszeit (Frühjahr, Sommer) immer mit möglichen Sorgen verbunden. Der tiefe Druck über Westeuropa schaufelt auf seiner Vorderseite immer wieder feuchte Luftmassen nach Mitteleuropa und mit der richtigen Überlappung von Hebung und Feuchte kann es zu Starkregenfällen kommen - wie wir sie heute und in den kommenden Tagen erwarten.
Bild 2 dient als kleines Beispiel, dass die Historie uns schon oft gezeigt hat, wozu die Atmosphäre bei solchen Konstellationen fähig ist. Im August 2010 sorgten verheerende Überschwemmungen u.a. in Ostdeutschland für große Schäden. Im Vergleich zur zweiten Maihälfte 2024 erkennt man das grobe Grundmuster mit tiefem Geopotenzial über Westeuropa und hohem über Westrussland beziehungsweise Skandinavien. Aber bereits hier sieht der genaue Betrachter, dass es einige Unterschiede z.B. der Anomalieschwerpunkte gibt, die sich auch auf die Dauer und Intensität eines Dauerregenereignisses auswirken können.
Sehen Sie also die Entwicklung in der Stratosphäre und deren Einfluss nur als ein Rädchen im gesamten Getriebe an, das indirekt jedoch den Nährboden für die nun anstehende Unwetterlage gelegt hat. Entscheidend sind unter anderem auch die Abläufe auf synoptisch-skaliger Ebene (Entwicklung der Tröge und Keile).
Die anderen Rädchen sind nicht weniger interessant, können der Übersicht und Verständlichkeit halber aber nur kurz erwähnt werden: Auch aus den tropischen Bereichen gibt es sogenannte "telekonnektive Wechselwirkungen", die auf die Geopotenzialverteilung über dem europäischen Sektor Einfluss haben können. In unserem aktuellen Fall wird dadurch zum Beispiel eine blockierende Antizyklone über dem nordöstlichen Atlantik gestützt. Es ist eben diese, die unseren Trog nach Mitteleuropa geführt hat und der nicht nach Norden ausweichen kann wegen dem Abschiedsgruß des winterlichen Polarwirbels in der Stratosphäre und dessen geförderte Blockierung im hohen Norden - hier über Skandinavien. Ist es nicht faszinierend, wie diese Rädchen ineinandergreifen können und einem tendenziell eine Abschätzung ermöglichen, wie sich das Zirkulationsmuster auch längerfristig entwickeln kann? So auch in diesem Fall, denn es war schon seit April zu erkennen, dass es mit der Dominanz der blockierenden Antizyklonen nur eine Frage der Zeit sein würde, bis alle Rädchen perfekt ineinandergreifen und für eine Hochwasserlage gut sein würden. So geschehen vor wenigen Wochen im Saarland und so ist es auch jetzt regional in Teilen Süd- und Ostdeutschlands zu erwarten.
Die sicherlich nun aufkommende Frage der Auswirkungen auf den Sommer kann man hier leider nicht klären, doch das Signal aus der Stratosphäre sollte sukzessive abebben, sodass sich auch die Blockierungstendenzen (von dieser Seite aus) abschwächen sollten. Entsprechend variabel sind die subsaisonalen Abschätzungen, wobei ECMWF das Signal von Juni zu Juli 2024 verliert, während es die Briten noch recht deutlich bis in den Juli 2024 mitführen.
Dipl.-Met. Helge Tuschy
Deutscher Wetterdienst