Eisdecke betreten. Wie entscheiden, ob es gefahrlos ist??
Auf einem zugefrorenen See zu laufen, oder mit Schlittschuhen dahinzugleiten ist wunderbar und eröffnet ganz besondere Perspektiven. Nur leider ist es oft nicht klar, ob die Eisdecke zuverlässig trägt. Deswegen hier ein kleiner Ratgeber zu dem Thema.
Der Winter ist eingekehrt in Deutschland und mit ihm auch frostig kaltes Wetter. Erste zarte Eisdecken bilden sich auf den See, doch ab wann kann man eigentlich Schlittschuhlaufen oder zugefrorene Seen und Teiche betreten?
Zunächst einmal braucht es eine Weile, bis das Wasser der Seen soweit abgekühlt ist, damit sich eine Eisdecke bilden kann. Denn, solange, wie sich in einem See noch Wasserschichten mit Temperaturen von über 4 Grad Celsius befinden, treiben diese aufgrund der Anomalie des Wassers nach oben und verdrängen das oberflächlich kältere Wasser nach unten.
So kommt es, dass viele Seen am Anfang des Winters selbst nach einigen Tagen Dauerfrost und strengem Frost in den Nächten keine Spur von Eisdecke zeigen. Es braucht oft bis in den Januar hinein, bis die größeren Seen anfangen vom Ufer her zu vereisen. Wenn das Wasser auch in der Tiefe durchgehend auf 4 Grad Celsius abgekühlt ist, dann kommt die thermische Zirkulation im See zum Erliegen und es gibt kein ?leichteres? Wasser mehr, als das kalte Wasser an der Oberfläche. Also bleibt es oben und kann sich durch Wärmeabstrahlung bei vorhandener Frostluft weiter abkühlen. Bei ausreichender Andauer des Frostes bildet sich eine Eisdecke. Diese wächst umso mehr an, je länger Frosttemperaturen darauf einwirken und je tiefer die Lufttemperatur ist. Es gilt also grundsätzlich: Je später der Winter, umso größer ist die Chance, dass ein See zufriert.
Allerdings ist diese Schilderung sehr vereinfacht. In Wirklichkeit ist die Eisbildung bei jedem Gewässer anders und im Wesentlichen von folgenden zusätzlichen Faktoren abhängig: Die Tiefe des Sees: Je tiefer ein See, umso größer ist der ?Vorrat? an warmem Tiefenwasser (wärmer als 4 Grad Celsius), welches durch die geringere Dichte zur Oberfläche aufsteigt. Stärkerer Wind: Unterstützt die Durchmischung der Wasserschichten. Das führt bei flachen Seen zu einer Beschleunigung der oberflächlichen Abkühlung, bei tiefen Seen zu einer Verzögerung. Grundwasserzufluss: Je mehr Grundwasserzufluss ein See hat, umso mehr Nachschub von Wasser, dass wärmer als 4 Grad ist, besteht. Das verzögert die Eisbildung und führt in einem See zu Regionen mit dünnerer Eisdecke. So frieren Baggerseen oder Tagebaurestlöcher, die Hauptsächlich durch Grundwasser gespeist werden, meist spät und selten zu. Aufgrund der thermischen Trägheit des Erdbodens hat das Grundwasser in etwa 7 m Tiefe erst im November/Dezember seinen Maximalwert im Jahresgang. Zufluss warmer Abwässer. Aufsteigende Faulgase oder Luft. Salzhaltiges oder chemisch verunreinigtes Wasser. Wetter: Kommt es bald (1 bis 2 Tage) nach der ersten Eisdeckenbildung zu einer Schneedecke, dann stellt diese eine Isolationsschicht dar, die ein weiteres Anwachsen der Eisdecke verlangsamt.
Bei sibirischen Temperaturen, mit wochenlangem Dauerfrost bekommt die Natur auf fast jedes Gewässer eine tragfähige Eisdecke gezaubert. Aber das ist in mitteleuropäischen Gefilden sehr selten. Die optimale Wetterlage dafür wäre ein beständiges Hoch über Skandinavien oder Westrussland. Dadurch könnte osteuropäische Kaltluft zu uns fließen, die es vor allem von Ende Januar bis März dort gibt. Wenn diese wenigstens eine Woche lang bei uns liegt und der Herbst und Winter bis dahin schon längere Frostperioden hatten, die den Erdboden etwas vorgekühlt haben, dann frieren die Seen zu. Wenn die Temperaturen aber bis dahin mild waren, dann reicht eine Woche Dauerfrost nicht aus.
Die Eisqualität: Abhängig von der Witterung bei Bildung der Eisdecke ist deren Qualität: Im optimalen Fall beginnt nach Erreichen der Winterstagnation (Bild 1) eine wie oben beschriebene Hochdrucklage mit Dauerfrost, ohne Niederschlag und wenig Wind. Dann kann in einer klaren windstillen Nacht bei strengem Frost der See zufrieren. Die dabei entstehende Eisdecke ist spiegelglatt. Bei weiterem Dauerfrost wächst die Dicke der Eisdecke weiter an und es entsteht glattes, sogenanntes "schwarzes" Eis, ohne wesentliche Lufteinschlüsse. Eine solche Eisdecke ist sehr tragfest und stabil. Dieses optimale Szenario ist aber in unseren Breiten selten und im Zuge der Klimaerwärmung sinkt die Wahrscheinlichkeit dafür auch in Skandinavien. Viel wahrscheinlicher ist es, dass auf frostige Nächte frostfreie Tage folgen. Dadurch wird die Eisdecke zunächst nur dünn bleiben, wieder antauen und kann eventuell von Wind aufgebrochen werden. Außerdem kann es passieren, dass Schnee auf eine Eisdecke fällt und dieser durch Tauwetter, Regen oder durch aus Spalten aufsteigendes Wasser zu Schneematsch wird und anschließend wieder gefriert. Dann bildet sich "weißes" Eis mit teils größeren Inhomogenitäten und spröden Zwischenschichten. Eine solche Eisdecke trägt deutlich schlechter. Der Unterschied der Tragfähigkeit zu gleichdickem "schwarzen" Eis kann den Faktor 10 erreichen. Es gibt aber unendlich viele Zwischenstufen, je nach Witterung während des Gefrierens.
Soweit zur Theorie. In der Praxis stellt sich die Frage: "Kann man auf das Eis gehen oder nicht?" Als Tragfähigkeit für "schwarzes" Eis gilt folgende Faustformel: Tragfähigkeit (Kg) = 5 h² h= Eisdicke in cm
Demnach könnte eine Eisdecke schon ab 5 cm theoretisch einen Menschen tragen und ab 8 cm eine Gruppe. Da aber häufig kein reines "schwarzes" Eis vorhanden ist und da die Eisdicken im See unterschiedlich sind, wird von der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft als Richtlinie folgendes angegeben: Stehende Gewässer soll man erst ab einer Eisdicke von 15 cm und fließende Gewässer ab einer Eisdicke von 20 cm betreten. Man beachte aber, dass unter Brücken, in Bereichen von Zu- und Abflüssen, zwischen Schilfbewuchs, über starken Grundwasserzuflüssen und über aufsteigendem Faulgas oder Luft das Eis weniger dick ist. Flache Gewässer: Ein knietiefer Dorfteich oder eine flach überflutete Wiese frieren viel schneller zu, als alle anderen Gewässer. Selbst wenn das Eis bricht, ist die Gefahr beherrschbar, wenn der Untergrund nicht zu sumpfig ist. Deshalb sind diese für die ersten Gehversuche auf dem Eis optimal.
Tiefe Gewässer: Bei tiefen Gewässern sollte man sich an die Richtlinie 15 bis 20 cm halten. Bei deutlich vorherrschendem "weißen" Eis und großer Last auf dem Eis (kompakte Schneedecke, viele Menschen, usw.) sollte man zur Sicherheit nicht unter 20 cm akzeptieren. Die Kommunen können Informationen über die Begehbarkeit der Gewässer herausgeben. Diese können in der lokalen Presse oder im Internet zu finden sein. Auch ein Anruf bei der Kommune kann Klarheit bringen. Risse durch Eisbewegungen: Das Eis trägt zum größten Teil deswegen, weil es auf dem Wasser schwimmt. Deshalb macht es Wasserspiegelschwankungen mit. Bei sinkenden Temperaturen, z.B. in der Nacht, schrumpft die Eisoberfläche, was zu Kontraktionsspalten an der Oberfläche führt. Diese laufen mit Wasser voll und frieren wieder zu. Das Aufreißen ist häufig mit lauten Knallgeräuschen verbunden. Bei steigender Temperatur dehnt sich die Eisoberfläche aus und es kommt zu Biegezugrissen an der Untergrenze. Dies ist mit pfeifenden Geräuschen verbunden. Wenn die Eisdecke vorher getragen hat und der Frost mit nur unwesentlichen Unterbrechungen am Tage anhält, stellen diese Effekte keine große Gefahr dar. Das Wasser in den Rissen gefriert wieder. Sie verschlechtern lediglich die Eisoberfläche zum Schlittschuhlaufen. Durch häufige starke Temperaturschwankungen können aber auch größere Verwerfungen in der Eisdecke entstehen. Wenn es größere Hebungen mit übereinander geschobenen Eisplatten gibt, kann es auch nach unten gedrückte Eisplatten geben, die Einbruchgefahr bedeuten!
Risse durch Überlastung: Bei Belastung der Eisdecke senkt sie sich einige Zentimeter nach unten. Bei zu starker Belastung reißen an der Unterseite Radialrisse ein und bei anhaltender Überlastung folgen Tangentialrisse auf der Oberfläche. Dann steht der Einbruch unmittelbar bevor. Grundsätzlich sind bewegte Lasten weniger einbruchgefährdet, als stationäre Lasten.
Frühjahr: Bei Tauwetter nehmen die Spaltenbildungen Tag für Tag zu und einzelne Schollen lösen sich. Zunehmende Sonnenstrahlung macht das Eis spröde und morsch, weil die Kristallstruktur durch internes Anschmelzen runder und weicher wird. Dadurch wird die gesamte Eisdecke brüchiger und das Ende der Betretbarkeit ist gekommen.
In vielen Regionen Deutschlands gilt das Zufrieren größerer Wasserflächen als etwas Besonderes und dann finden traditionell kleinere oder größere Volksfeste auf dem Eis statt. So zum Beispiel auf der Außenalster in Hamburg, im Spreewald bei Lübbenau und Burg, auf Teilen des Bodensees, um nur einige zu nennen. Vielleicht gibt es ja in diesem Winter viele zugefrorene Gewässer? Dann hoffen wir darauf, dass die Menschen Vernunft vor Mut stellen und keine schlimmen Einbrüche passieren.
Dipl.-Met.(FH) Jens Oehmichen zusammen mit Dipl.-Met. Marcel Schmid
Deutscher Wetterdienst