Lake Effect Snow Verbindendes meteorologisches Phänomen zwischen
Ostsee und Großen Seen
Sowohl in Deutschland als auch im Nordosten Nordamerikas brachten kräftige Tiefs in den vergangenen Tagen den ersten Schnee des Winterhalbjahres. Dabei spielte der sogenannte "Lake Effect Snow" rund um die Großen Seen, aber auch an der Ostsee eine nicht unbedeutende Rolle. Was sich dahinter verbirgt, klären wir im heutigen Thema.
In vielen Regionen Deutschlands liegt bis in die Niederungen zumindest eine dünne Schneedecke. Lediglich im Südwesten schaut man eher noch "ins Grüne". In den vergangenen Tagen wurde in den Themen des Tages bereits ausführlicher auf die Entwicklung der winterlichen Wetterlage und der Schneedecke eingegangen (siehe Themen des Tages vom 28.11.23 und 29.11.23). Nicht nur im Mittelgebirgsraum oder an den Alpen musste zu Besen oder Schaufel gegriffen werden, um die Wege oder das Auto freizuräumen. Auch entlang den deutschen Küsten, vor allem der Ostsee, liegt für diese Regionen eine veritable Schneedecke (Abbildung 1). In Nordamerika, genauer gesagt im Umfeld der Großen Seen, braucht man derzeit schon teils schwereres Gerät, um den dortigen Schneemassen Herr zu werden. Beide Regionen verbindet dieser Tage der sogenannte "Lake Effect Snow", welcher regional für verhältnismäßig hohe Schneesummen sorgt.
Der Lake Effect Snow (LES) ist ein Phänomen, das im Winterhalbjahr beim Überströmen von Kaltluft über größere, relativ warme Wasserflächen auftreten kann. Beim Überstreichen der trocken-kalten Luft über die deutlich wärmeren Gewässer wird die untere Atmosphäre mit Wärme und Feuchtigkeit versorgt und deren Schichtung wird dadurch labiler. Die mit Wärme und Feuchtigkeit angereicherten Luftpakete steigen auf, kühlen sich ab und kondensieren vorwiegend bereits in den unteren Atmosphärenschichten. Daher kann es zu flächenmäßig eng begrenzten Niederschlagsbändern mit heftigen Schneefällen kommen. Aufgrund der geringen Breite der Niederschlagsbänder von oft nur wenigen Kilometern kann das betroffene Gebiet im Schnee versinken, während im näheren Umfeld mitunter deutlich weniger oder gar kein Schnee fällt. Verschiedene Studien zeigen, dass zwischen der Wasseroberflächentemperatur und der Temperatur in 1,5 km Höhe (Druckniveau auf etwa 850 hPa) über Grund eine Differenz von mindestens 13 Kelvin bestehen muss, damit genügend Energie für die Bildung kräftiger und langlebiger Niederschlagsbänder zur Verfügung steht. Starke Schneeschauer können unter anderem dann entstehen, wenn die labile Luftmasse eine vertikale Mächtigkeit von mindestens ca. 2 km über Grund erreicht. Eine weitere Schlüsselkomponente bei der Bestimmung von besonders betroffenen Küstengebieten beim Lake Effect Snow ist die Windrichtung. Zudem ist der sogenannte "Fetch" entscheidend, der die Wirklänge des Windes über die offene Wasserfläche beschreibt. Der "Fetch" sollte typischerweise mindestens 100 km betragen, damit der Luft ausreichend Wärme und Feuchtigkeit für die Entwicklung der Schneeschauerstraßen zugeführt werden kann.
Der Lake Effect Snow ist im Bereich der Großen Seen (USA) besonders ausgeprägt, da es hier häufiger zu einem "Arctic Outbreak" kommt. Dabei kann auf der Rückseite eines Tiefs häufig sehr kalte, trockene Luft aus den arktischen Breiten Kanadas weit nach Süden in die USA vorstoßen. Dort überströmen die arktischen Luftmassen die Großen Seen, meist von West bis Nordwest nach Ost bis Südost. Für den Eriesee und den Ontariosee beispielsweise ist der "Fetch" bei einer westlichen Windkomponente mit mehreren hundert Kilometern besonders lang. In der ersten Wochenhälfte kam es nun zum ersten markanten "Arctic Outbreak" über Nordamerika mit entsprechendem Lake Effect Snow.
Die Wassertemperatur der Großen Seen lag verbreitet noch bei +6 bis +9 Grad, während in 1,5 km rund -14 Grad vorherrschend waren. Summa summarum ergaben sich demnach in der unteren Atmosphäre Differenzen von 20 bis 23 Kelvin. Dieser Temperaturgegensatz stellte viel Energie für die Bildung von intensiven und teils gewittrig durchsetzten Schneeschauerstraßen vor allem an den Ost- und Südostseiten von Lake Michigan, Huron, Erie und Ontario zur Verfügung. Dabei wurden häufig pro Stunde Neuschneeraten von 3-10 cm (ca. 1-3 inches), in einigen Regionen (z.B. knapp südlich von Buffalo) auch 10 bis 15 cm (4-6 inches) beobachtet. Insgesamt sind seit Montag teilweise 25-50 cm (10-20 inches), strichweise auch um 75 cm (30 inches) gemeldet worden.
Kehren wir wieder nach Mitteleuropa zurück. Wie bereits erwähnt, konnte beispielsweise am Dienstag im Skagerrak und Kattegat sowie in der westlichen Ostsee (siehe Abbildung 4) der Lake Effect Snow mit seinen charakteristischen Schauerstraßen von Nord bis Nordost nach Süd bis Südwest beobachtet werden.
Die Bedingungen waren dabei denen in Nordamerika sehr ähnlich. Die Temperaturdifferenz betrug zwischen Wasseroberfläche (rund 8 Grad) und 1,5 km (-12 bis -14 Grad) um bzw. etwas über 20 Kelvin. Lediglich die Breite der Wasserflächen und damit der "Fetch" reicht in den westlichen Ostseegebieten nicht an die Großen Seen heran, sodass die Neuschneemengen in der Regel im Verhältnis nicht so hoch ausfallen. In weiten Teilen des Landes hält die Zufuhr kalter Luftmassen aus Norden bis Nordosten in den kommenden Tagen an, sodass der Lake Effect Snow an der Ostseeküste strichweise weiteren Schneenachschub liefern dürfte.
M.Sc.-Met. Sebastian Altnau
Deutscher Wetterdienst