Kleine Gewitterkunde Teil 4: Mesoskalige konvektive Systeme
Schließen sich Gewitter zu einem größeren Gewitterkomplex zusammen, so spricht man von einem mesoskaligen konvektiven System, welches im heutigen Thema des Tages beschrieben wird. Auf der einen Seite bringen Gewitter während einer sommerlich warmen oder heißen Witterungsperiode eine willkommene und erfrischende Abkühlung und vertreiben dabei die unangenehme Schwüle. Sie schenken uns und der Natur Regen, der uns das Gießen im Garten erspart und der Vegetation das für Wachstum und Überleben notwendige Wasser. Auf der anderen Seite besitzen schwere Gewitter aber auch ein erhebliches Zerstörungspotential durch Hagelschlag, Sturmböen oder extreme Regenfälle und können für Menschen, die sich im Freien aufhalten, sogar lebensgefährlich werden.
Typische Hitzegewitter (Einzelzellen) bringen nur sehr lokal heftige Niederschlage. Man könnte daher leicht den Eindruck bekommen, die Gewitter zögen allzu oft an einem vorbei. Manchmal bekommt man von den Gewittern gar nichts mit und hält dadurch die Wettervorhersage im Radio, TV oder vom DWD sogar für falsch, da die für die Region angekündigten Gewitter scheinbar ausbleiben.
Anders verhält es sich bei den sogenannten "konvektiven mesoskaligen Systemen" (engl. "mesoscale convective system", kurz: MCS). Dabei handelt es sich um einen Zusammenschluss mehrerer Gewitter zu einem größeren Gewitterkomplex, der über mehrere Stunden anhält. Schon allein wegen seiner Größe, aber auch wegen der längeren Lebensdauer, werden bei einem MCS deutlich größere Gebiete von Böen und/oder Starkregen getroffen. Ein solches MCS zog beispielsweise am 16. August dieses Jahres über die Mitte Deutschlands hinweg und brachte vor allem dem Rhein-Main-Gebiet extreme Regenmengen, die u.a. den Frankfurter Flughafen unter Wasser setzten.
Typischerweise kündigt sich ein solcher Gewitterkomplex schon einige Zeit vor Eintreffen der eigentlichen Gewitterzone zunächst mit immer dichter werdenden hohen und weiß erscheinenden Wolkenfeldern an. Es handelt sich hierbei um den sogenannten Cirrus-Wolkenschirm, der sich am Oberrand der Troposphäre (ca. 10-12 km Höhe) horizontal ausbreitet. Einige Zeit später erscheint dann meist im Westen oder Südwesten eine breite "schwarze" Wolkenwand am Horizont, die langsam immer näherkommt. Dann hört man auch das erste Donnergrollen aus der Ferne. Entsteht das MCS erst am späten Abend oder in der Nacht, dann kann man häufig ein imposantes Wetterleuchten am Firmament beobachten, so auch beim MCS vom 16. August 2023. Noch vor dem Regen kündigen sich die Gewitter schließlich durch eine Böenfront an. Der Wind frischt schlagartig stürmisch auf. Teilweise verursachen schwere Sturmböen, in Einzelfällen sogar Orkanböen größere Schäden wie umgestürzte Bäume oder abgedeckte Dächer. Erst nach dem Sturm setzt dann kräftiger Regen ein, der anschließend in leichten bis mäßigen "Landregen" übergeht.
Mesoskalige konvektive Systeme entstehen zunächst aus einzelnen Gewittern, die sich zumeist am Nachmittag und Abend zu einem größeren Gewitterkomplex zusammenschließen. Dieser erreicht eine horizontale Ausdehnung von 100 Kilometern und mehr. Die Form eines MCS kann sehr unterschiedlich sein. Mal ist der Wolkenschirm fast kreisförmig oder oval, mal organisieren sich die Gewitter eher linienförmig. Bei letzterem spricht man von einer "Squall-Line", die im nächsten und vorläufig letzten Artikel dieser Reihe erläutert wird. Vor allem im Anfangsstadium sind die Gewitter oft noch mit heftigem Platzregen und Hagel begleitet, während im fortgeschrittenen Stadium des MCSs ein zunehmend größer werdendes Regengebiet entsteht, in dem die Intensität des stärksten Niederschlags allmählich abnimmt. Dagegen rücken die Sturmböen mehr in den Fokus.
Die größte Form eines MCSs ist der sogenannte "mesoscale convective complex" (kurz: MCC). Um einen Gewitterkomplex als MCC bezeichnen zu können, müssen mehrere Bedingungen gegeben sein. Zum einen definiert sich ein MCC über die Temperatur am oberen Rand der Wolke. Dabei ist die Temperatur, die die Wolke nach oben ins Weltall abstrahlt, umso niedriger, je höher die Wolke ist. Diese abgestrahlte Temperatur wird mithilfe von Satelliten bestimmt. Man spricht nun von einem MCC, wenn gleichzeitig die Fläche mit Wolkenoberflächentemperaturen kleiner -32 °C größer als 100.000 Quadratkilometer (ca. 360 km Durchmesser bei kreisförmigem MCC) und die Fläche mit Temperaturen kleiner -52 °C größer als 50.000 Quadratkilometer (ca. 250 km Durchmesser) ist. Zudem müssen diese Verhältnisse mehr als sechs Stunden andauern. Der wohl heftigste MCC, der Deutschland in den letzten Jahrzehnten heimgesucht hat, war übrigens das Pfingstmontags-Unwetter vom 9. Juni 2014 (siehe Themen des Tages vom 7. und 9. Juni 2019).
Dr. rer. nat. Markus Übel
Deutscher Wetterdienst