Clear Air Turbulence die unsichtbare Gefahr
Jeder, der schon mal mit dem Flieger in den Urlaub oder auf Geschäftsreise unterwegs war, kennt die Durchsage: "Bitte bleiben sie angeschnallt! Es können jederzeit unerwartet Turbulenzen auftreten." Doch woher kommen die Turbulenzen und wie unerwartet sind diese heutzutage noch?
Aktuell ist die Warnkarte des Deutschen Wetterdienstes nahezu leer. Auch letzten Donnerstag, den 25.05.2023 gab es in keinem einzigen Landkreis eine Wetterwarnung. Ruhige Zeiten also für die Meteorologen im Vorhersagedienst. Letzten Donnerstag traf das aber nicht auf alle Bereiche in der Meteorologie zu. Im Flugwetterdienst war nämlich einiges los. Ein Kaltlufttropfen sorgte in der Höhe für starke Turbulenzen. Am Boden bekommt man davon nichts mit. Für die Luftfahrt sind das aber wichtige Informationen. Durch die Warnung vor starker Turbulenz werden die meteorologische Sicherheit der Luftfahrt gewährleistet und Flugrouten optimiert. Wie kam es genau zu den Turbulenzen und wie werden diese prognostiziert?
Clear Air Turbulence (CAT) oder auf Deutsch Klarluftturbulenz ist mit dem bloßen Auge nicht zu sehen, da es sich um Turbulenz in wolkenfreier Luft handelt. Die CAT wird durch das Aufeinandertreffen von signifikant andersartigen Luftmassen verursacht, die sich mit stark unterschiedlichen Geschwindigkeiten in Höhen oberhalb 6 Kilometern bewegen. Durch den ungleichen Charakter der Luftmassen entsteht an der Zone des Zusammentreffens ein Bereich erhöhter Windgeschwindigkeiten auch Jetstream genannt. Die horizontale Erstreckung von Gebieten mit CAT liegt bei 80 Kilometern, kann sich aber auch auf einen Bereich bis 500 Kilometer erstrecken. Die vertikale Ausdehnung beträgt im Mittel 600 Meter. Die unteren Grenzwerte liegen bei 20 bis 30 Metern. Diese Art von Turbulenz ist besonders gefährlich für die Luftfahrt, da sie im Gegensatz zu anderen Wetterphänomenen, wie zum Beispiel Gewittern oder Vereisung, weder mit dem bloßen Auge noch mit Radar geortet werden kann. Die Turbulenzen sind aber meist zu schwach, um ein Verkehrsflugzeug stark zu beschädigen oder zu zerstören. Es kam jedoch schon zu kleineren Beschädigungen an Luftfahrzeugen sowie zu verletzten Passagieren (meist nicht angeschnallt).
Letzten Donnerstag gab es einen typischen Fall für CAT. In der unteren Troposphäre herrschte Hochdruckeinfluss vor. Ein kräftiges Hoch über den Britischen Inseln streckte einen Keil über Deutschland hinweg bis nach Südosteuropa. In der mittleren und oberen Troposphäre zirkulierte jedoch zwischen Frankreich und dem Südwesten Deutschlands ein Kaltlufttropfen. Die unterschiedlichen Luftmassen sind im Luftmassen RGB (Abbildung 1) gut zu sehen. Im rot gefärbten Bereich ist die Luftmasse sehr trocken und kalt. Während über dem Südosten Deutschlands eine warme und feuchte Luftmasse vorherrschte (in der Abbildung bläulich). Die unterschiedlichen Eigenschaften der Luftmassen werden auch in den Radiosondenaufstiegen von Idar-Oberstein und Oberschleißheim deutlich. Der Aufstieg von Idar-Oberstein erfolgte in der trockenen und kalten Luftmasse (im roten Bereich), während das Vertikalprofil von Oberschleißheim die wärmere und feuchtere Luftmasse repräsentiert (Abbildung 2). An der Grenze zwischen den unterschiedlichen Luftmassen entwickelte sich ein Starkwindband. Im ICON6-Modell konnte man die simulierten Windgeschwindigkeiten des Jetstreams an der Nordwestflanke des Kaltlufttropfens mit Spitzengeschwindigkeiten von 120 Knoten (etwa 220 Kilometer pro Stunde) gut erkennen. (siehe Isotachen-Darstellung in Abbildung 3
Die Zutaten für starke Turbulenz in der Troposphäre waren also gegeben. Es gab zwei signifikant unterschiedliche Luftmassen in der Höhe. Und es hat sich im Grenzbereich der beiden Luftmassen ein Jetstream entwickelt. Wo genau sich jetzt die CAT-Zone befindet, lässt sich durch die Zusammenschau von Radiosondenaufstiegen und Satellitenbilder verifizieren. Doch um bereits vor dem Ereignis warnen zu können, werden numerische Vorhersagemodelle herangezogen. Dabei sind zum einen die Windprognosen in unterschiedlichen Höhenstufen wichtig. Zum anderen wird aber auch die Berechnung des Eddy Dissipiation Parameters zu Rate gezogen. Der Eddy Dissipitation Parameter (EDP) wird aus der berechneten turbulenten kinetischen Energie hergeleitet. Der Parameter wurde bereits jahrelang verifiziert und mit Meldungen aus dem Cockpit sowie Messungen durch spezielle Mess-Flugzeuge verglichen. Inzwischen ist die Bereitstellung des EDP für die Luftfahrt operationalisiert und wird als Grundlage zur Turbulenzeinschätzung für die Luftfahrt routinemäßig herangezogen. Auch letzten Donnerstag haben die Berechnungen des EDP ein Gebiet mit starker Turbulenz über Deutschland prognostiziert. (Abbildung 4)
Die Zusammenschau der vorliegenden Messungen und numerischen Modellparameter führte letztendlich zur Ausgabe einer Warnung vor einer signifikanten meteorologischen Erscheinung für die Luftfahrt - kurz SIGMET abgekürzt. Da Wetterphänomene sowie der innereuropäische und internationale Luftverkehr nicht an politischen Grenzen enden, ist eine Absprache mit den angrenzenden Wetterdiensten von großer Bedeutung. Dies beugt Irritationen durch widersprüchliche Wetterinformationen vor. In diesem Fall hat die Region der starken Turbulenz nicht nur den deutschen Luftraum beeinflusst, sondern auch den französischen. Dank der Absprache zwischen der Flugwetterzentrale des Deutschen Wetterdienstes in Frankfurt mit dem Büro der Météo France in Toulouse, wurde eine einheitliche Warnung vor schwerer Turbulenz in einem Bereich zwischen Flughöhe 250 und 340 (also zwischen 7500 Metern und 10000 Metern über NN) ausgegeben.
So unerwartet wie vielleicht angenommen, treten die Turbulenzen also gar nicht mehr auf. Die numerischen Modelle können schon viele der unsichtbaren Turbulenzbereiche prognostizieren. Und auch Satellitenmessungen geben Auskunft über Gefahrenbereiche, auch wenn diese nicht durch auffällige Wolkenformationen gekennzeichnet sind. Durch die Warnungen können Piloten den größeren Gebieten gefährlicher Turbulenzen ausweichen, sodass es oft gar nicht mehr so turbulent im Flieger wird. Es ist jedoch wohl weiterhin ratsam, angeschnallt zu bleiben.
MSc Sonja Stöckle
Deutscher Wetterdienst