Die Sonne macht 2022 Überstunden ohne Ende
Bereits vergangene Woche wurde bei den registrierten Sonnenstunden im deutschlandweiten Flächenmittel das Jahressoll erreicht - so früh wie noch nie seit Beginn flächendeckender Aufzeichnungen im Jahre 1951. Steuern wir beim Sonnenschein auf ein Rekordjahr zu?
1544 Stunden - so lange scheint die Sonne normalerweise das ganze Jahr über - zumindest, wenn man das vieljährige Mittel der Jahre 1961 bis 1990 (international gültige Referenzperiode) betrachtet. In diesem Jahr machte die Sonne aber schon so viele Überstunden, dass bereits zu Beginn der vergangenen Woche dieser Wert übertroffen wurde. Die Sonne hat ihr "Arbeitssoll" für das Jahr 2022 also schon über vier Monate vor Jahresende erreicht! Noch nie seit Beginn der regelmäßigen Erfassung der Sonnenstunden in Deutschland im Jahre 1951 wurde so früh im Jahr das Jahressoll an Sonnenstunden im deutschlandweiten Flächenmittel erreicht beziehungsweise überschritten. Mit jedem Sonnenstrahl in den nächsten Wochen und Monaten geht die Sonne quasi in die Verlängerung. Besonders sonnig war es in der Südwesthälfte Deutschlands, während die Sonne im Norden etwas öfter von Wolken verdeckt war. Ähnlich oft wie in diesem Jahr zeigte sich die Sonne in den ersten acht Monaten (1. Januar bis 31. August) zwar in den Jahren 2003 und 2018 mit 1558 bzw. 1551 Stunden. In diesem Jahr stehen allerdings etwa 1615 Stunden auf dem Konto. Deutlich abgeschlagen ist hingegen bereits der vorherige Platz 3 mit 1501 Sonnenstunden im Jahr 2020.
Vielleicht ist Ihnen beim Lesen aufgefallen, dass alle bisher genannten Jahre aus dem 21. Jahrhundert stammen? Dass das kein Zufall ist, zeigt das vieljährige Mittel der aktuelleren Referenzperiode 1991 bis 2020. In diesem Zeitraum schien nämlich die Sonne das ganze Jahr über in Deutschland durchschnittlich 1665 Stunden, also 120 Stunden bzw. 7,8% länger als in der vorherigen 30-jährigen Periode (Abbildung 2). Es scheint also einen Trend hin zu mehr Sonnenschein in Deutschland zu geben. Dieser Trend ist in fast allen Monaten erkennbar (graue Balken in Abbildung 1). Besonders deutlich sticht allerdings der April heraus, der im Klimamittel deutlich sonniger geworden ist. Bezüglich der neuen Referenzperiode muss sich die Sonne in diesem Jahr zwar noch einige Stunden am Himmel zeigen, aber voraussichtlich schon im ersten Septemberdrittel dürfte auch diese Hürde überschritten sein.
Schaut man sich die einzelnen Monate im Jahr 2022 etwas genauer an (gelbe Balken in Abbildung 1), fällt auf, dass die Sonne nur im Januar weniger als durchschnittlich schien. Seit Februar folgten (bis jetzt) sieben Monate ohne Unterbrechung, in denen die Sonne kontinuierlich Überstunden anhäufte. Ganz besonders fleißig war die Sonne im März. Stolze 235 Stunden strahlte die Sonne vom Himmel und damit sogar länger als in durchschnittlichen Sommermonaten - die alten Rekorde für den März wurden regelrecht pulverisiert!
Auf das sonnige Frühjahr folgte der sonnenscheinreichste (meteorologische) Sommer seit Messbeginn. Fast 820 Stunden strahlte die Sonne in den Monaten Juni, Juli und August vom Himmel. Damit wurden die 793 Stunden vom vorherigen Rekordhalter 2003 überboten (bisheriger Platz 2: 2018, 779 Stunden; Platz 3: 1976, 778 Stunden). Für die jährliche Sonnenscheindauer sind vor allem die Sommermonate entscheidend, denn etwa 40% der Sonnenstunden werden in den Sommermonaten Juni bis August gemessen. Über die Hälfte der Sonnenstunden werden durchschnittlich in den Monaten Mai bis August erreicht, was zum einen mit den kurzen Nächten und zum anderen mit den selten trüben Tagen in diesem Zeitraum zusammenhängt.
In Schwimmbädern und an Badeseen herrschte Hochkonjunktur und der Regenschirm konnte meist getrost zuhause bleiben. Derart viel Sonnenschein in Verbindung mit oft heißen Temperaturen und den vielerorts viel zu geringen Niederschlägen hat ähnlich wie 2003 und 2018 aber schlimme Folgen. In vielen Regionen kam es aufgrund der enormen Dürre zu Waldbränden, die Landwirtschaft verzeichnet Ernteeinbußen und es entwickelten sich regelrechte Steppenlandschaften.
Steuern wir beim Sonnenschein also auf ein Rekordjahr zu? Schauen wir uns dazu zunächst die bisherigen "Top 3" der sonnenreichsten Jahre an. Den bisher meisten Sonnenschein im deutschlandweiten Flächenmittel gab es im Jahr 2018 mit 2015 Sonnenstunden, dicht gefolgt von 2003 mit 2014 Stunden. In beiden Jahren gingen die extrem heißen und trockenen Sommer in die Wetterannalen ein. Somit können durchaus einige Parallelen zum diesjährigen Sommer gezogen werden. Auf Platz 3 folgt das Jahr 1959 mit 1984 Sonnenstunden. Um das Jahr 2018 vom Thron zu stoßen, fehlen also noch rund 400 Sonnenstunden. In den vier noch ausstehenden Monaten September bis Dezember scheint die Sonne durchschnittlich an 349 (Mittel 1961-1990) beziehungsweise 361 Stunden (Mittel 1991-2020). Um einen neuen Rekord aufstellen zu können, muss die Sonne in den kommenden Wochen und Monaten das Überstundenkonto also noch um einige Stunden erhöhen. Ob das Jahr 2022 am Ende tatsächlich einen Platz auf dem Treppchen ergattern oder sogar an der Spitze stehen wird, kann man allerdings aus heutiger Sicht noch nicht einschätzen. Es bleibt also spannend.
Dr. rer. nat. Markus Übel (Meteorologe)
Deutscher Wetterdienst