Still ruht der Atlantik...
Seit dem 3. Juli gab es keinen Tropensturm auf dem Atlantik. Das war zuletzt vor vierzig Jahren der Fall. Immerhin läuft seit Juni die Hurrikansaison. Was ist da los?
Alex, Bonnie, Colin. Das sind die Namen der bisher in dieser Saison aufgetretenen Tropenstürme auf dem Atlantik. Falls Sie jetzt denken: "Das scheint mir etwas wenig zu sein", dann liegen Sie mit Ihrem Gefühl ziemlich richtig. Eine derart lange Periode ohne atlantische Tropenstürme gab es, bezogen auf den Zeitraum 3. Juli bis 22. August, zuletzt 1982. Davor war dies sogar öfter der Fall, interessanterweise oft im Abstand von fünf Jahren: 1977, 1972, 1967, 1962 und nochmals 1952. Die Launen der Statistik sind mitunter einfach unergründlich...
Doch warum 3. Juli? Am 3. Juli löste sich Tropensturm "Colin" über dem amerikanischen Bundesstaat South Carolina auf und war bis dahin erstmal der letzte in dieser Saison. Der erste Sturm der Saison war "Alex", der sich aus den Resten des pazifischen Sturms "Agatha" entwickelte und vorher über Mexiko gezogen war. Dieser brachte anschließend schwere Niederschläge in Kuba und Südflorida. Im Großraum Miami fielen dadurch Anfang Juni um 250 Liter pro Quadratmeter Regen, was dort für größere Überschwemmungen sorgte. Der zweite tropische Sturm "Bonnie" trat Anfang Juli in Mittelamerika auf und traf gerade zu dem Zeitpunkt auf die karibische Küste an der Grenze zwischen Nicaragua und Costa Rica, als er begann, sich zu einem Hurrikan zu entwickeln. Er überquerte Nicaragua und zog anschließend auf pazifischer Seite weiter.
Nun also die lange, inzwischen fast siebenwöchige Pause. Doch warum ist das so? Begeben wir uns also einmal auf Ursachensuche und beginnen mit der Frage, was es für die Entstehung eines Tropensturms bis hin zum Hurrikan überhaupt braucht. Eine auch allgemein relativ bekannte Zutat dürften die entsprechend hohen Meeresoberflächentemperaturen darstellen. Das Wasser braucht in der Regel eine Temperatur von mindestens 26 Grad Celsius, damit sich Tropenstürme bilden können. Durch die Wärme und die Verdunstung stellt der Ozean mit dem Wasserdampfangebot genug Energie für die Atmosphäre zur Verfügung. Aktuell stellt dies auch kein Problem dar. Insbesondere vor der amerikanischen Atlantikküste liegen die Wassertemperaturen leicht über dem klimatologischen Mittel (1981-2010) bei etwa 29 bis 30 Grad Celsius. Eine zweite notwendige Bedingung ist fehlende Scherung, das heißt Änderung der Richtung und Geschwindigkeit des Windes mit der Höhe. Scherung führt dazu, dass vorhandene Konvektion in der Höhe bildlich gesprochen vom Winde verweht wird. Sie hat dann keine Chance, sich zu organisieren und sich über einen längeren Zeitraum zu etablieren. An dieser Stelle wird man dann auch bei genauerem Hinsehen stutzig. Über mehrere Wochen lag auf dem Atlantik vor Südwesteuropa beziehungsweise Nordwestafrika ein Trog, also ein Höhentief, welcher sich dort normalerweise nicht befindet. Dieser Trog sorgte für entsprechend unpassende Verhältnisse beim Höhenwind mit erhöhten Scherungswerten. Gleichzeitig steuerte der Trog trockene Luft von Norden her ein. Auch das verhindert eher etwaige Konvektion und verringert das Potential für die Entwicklung tropischer Stürme deutlich. Ein Aufleben der Konvektionsaktivität auf dem Atlantik wird man also wohl erst erwarten können, wenn sich die Druck- und Strömungskonfiguration deutlich umstellt hin zu einer scherungsarmen Umgebung und entsprechend feuchten Luftmassen.
Vielleicht fragt man sich jetzt, warum ausgerechnet der östliche Atlantik vor Afrika betrachtet wird. Auch das hat seinen Grund: Tropische Stürme entstehen auf dem Atlantik oft aus einer sogenannten "Tropischen Welle" heraus. Diese wiederum bilden sich über Ostafrika aus einer dort vorhandenen Starkwindzone in der Höhe heraus und wandern anschließend westwärts über den Atlantik. Man kann sie sich als eine Art Tiefdruckgebiet vorstellen. Sie führen zu einem ersten Hebungsimpuls in der Atmosphäre und sorgen so dafür, dass die Konvektion überhaupt erst richtig in Gang kommt.
Sollten sich nun die Strömungsverhältnisse tatsächlich umstellen, kann aufgrund der überdurchschnittlichen Wassertemperaturen mit einer deutlich lebhafteren zweiten Saisonhälfte gerechnet werden. Dies ist auch der Grund, warum das National Hurricane Center des amerikanischen Wetterdienstes NOAA noch immer mit einer Saison, die über dem normalen Niveau liegt, rechnet, auch wenn die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer solchen zuletzt marginal reduziert wurde. Ohnehin kommt die Hurrikansaison erst ab Mitte August richtig in Fahrt. Unter anderem treten im Mittel 90% aller sogenannten "Major Hurricanes" (ab Stärke 3) erst nach dem 20. August als Stichtag auf. Auch wenn es jetzt also lange ruhig war, ist die Saison noch lange nicht vorbei. Im Gegenteil: Voraussichtlich geht es in den nächsten Wochen erst so richtig los.
M.Sc. Felix Dietzsch
Deutscher Wetterdienst