Der Tornadoausbruch am 20.05.2022 Analyse und Einordnung

Im heutigen Thema des Tages wird der Tornadoausbruch vom 20.05.2022 mit insgesamt mindestens acht Tornados näher unter die Lupe genommen..

Vor zehn Tagen gab es in großen Teilen Deutschlands die bisher stärkste Gewitterlage der Saison 2022. Schon weit im Vorfeld wurde über die sozialen Medien und die Wetter- und Warnlageberichte davor gewarnt und es war klar, dass etwas "Größeres" bevorstehen würde. Eine befürchtete Begleiterscheinung waren Orkanböen, die sich in der Fläche erst über Tschechien entfalten konnten. Aber auch auf das erhöhte Potential für Tornados wurde immer wieder verwiesen. Insofern war es dann am Ende nicht wirklich überraschend, dass diese aufgetreten sind. Wir wollen in der Folge die Lage etwas näher einordnen und auch schauen, warum man schon im Vorfeld das hohe Tornadopotential erkennen konnte.

Zunächst einmal sei ein Blick auf die Statistik geworfen. Dazu gab es bereits am 19.07.2021 ein Thema des Tages. Zudem gab es vergangenen Herbst einen Vortrag zu diesem Thema auf dem Extremwetterkongress (Link unter dem Tagesthema unter www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2022/5/30.html)). Alle Tornadoereignisse werden in der Unwetterdatenbank des ESSL (European Severe Storms Laboratory) gespeichert. Robuste Zahlen zur statistischen Untersuchungen von Tornadoereignissen in Deutschland gibt es etwa ab dem Jahr 2000. Nutzt man die Datenbasis von 2001 bis 2020 so wurden im Schnitt jährlich 32 Tornados und knapp 17 Wasserhosen registriert. Die Zahlen schwanken von Jahr zu Jahr und es ist davon auszugehen, dass es auch noch eine gewisse Dunkelziffer an schwachen Tornados gibt, die nicht in der Statistik auftauchen.

Die Stärke der Tornados lässt sich über die sogenannte Fujita-Skala von F0 bis F5 einordnen. Von starken Tornados spricht man ab einer Stärke von mindestens F2. Starke Tornados gibt es im Schnitt etwa fünf pro Jahr (4 x F2, 1x F3). Noch stärkere Tornados kommen deutlich seltener vor. In den vergangenen Jahren gab es eher unterdurchschnittlich viele starke Tornados (2019: 1xF2, 1x F3, 2020: keiner, 2021: 1x F2). Insofern war es statistisch gesehen "mal wieder an der Zeit", dass wieder einige starke Tornados auftauchen. An dieser Stelle sei auch nochmal betont, dass sich in den Tornadostatistiken derzeit keinerlei Trend in Bezug auf Anzahl und Stärke von Tornados in Deutschland, finden lässt. Insofern eignen sich Tornados auch nicht für Argumentationen in Sachen Klimawandel. Am 20.05.2022 wurden insgesamt mindestens acht Tornados im Zusammenhang mit der Unwetterlage registriert, einer davon in den Niederlanden in Grenznähe zu Deutschland. Bei einer solch großen Anzahl an Tornados spricht man von einem Tornadoausbruch. Drei dieser Tornados waren starke Ereignisse (Merxhausen, Lippstadt und Paderborn; jeweils F2). Der Tornado von Paderborn wird aktuell immer noch untersucht. Auf Tornadomap.org werden die bisherigen Untersuchungsergebnisse dokumentiert.

Kommen wir nun im zweiten Teil zu den Voraussetzungen für Tornados am 20.05.2022. Die Vorhersager beim DWD arbeiten mit der sogenannten Zutatenmethode. Wir halten also nach Zutaten Ausschau, die zusammenkommen müssen, damit Gewitter und Tornados entstehen können. Für Gewitter brauchen wir zum einen Feuchte und zum anderen eine möglichst starke Temperaturabnahme mit der Höhe (Labilität). Beide Zutaten werden in der verfügbaren Energie für Gewitter zusammengefasst. Diese Energie war für einige Regionen über der Mitte und dem Süden deutlich erhöht. Zudem braucht es noch eine weitere Zutat, die Hebung. Sie ist verantwortlich, dass die Luft gehoben wird, sich dabei abkühlt und sich schlussendlich Gewitterwolken bilden. Für den 20.05. half ein sich kräftigendes Tiefdruckgebiet, dass im Tagesverlauf von Benelux nach Norddeutschland zog und mit seinen Ausläufern ausreichend Hebung lieferte.

Um aus Gewittern auch Unwetter zu machen, braucht man zudem noch ein entscheidendes Gewürz - die Windscherung. Darunter versteht man die Änderung der Windstärke und -richtung mit der Höhe. Für Tornados schaut man ganz speziell auf die Windänderung zwischen Boden und etwa 1 km Höhe. Diese war auch am 20.05. deutlich erhöht. Damit sich ein Tornado ausbilden kann ist es zudem hilfreich, wenn die Unterseite der Gewitterwolke eine möglichst niedrige Höhe hat. Je höher die Wolkenbildung einsetzt, desto schwieriger wird es für den Tornado, sich zu bilden. Auch diese Bedingung war insbesondere über der westlichen Mitte gegeben.

Allein bei der Betrachtung der Zutaten war also schon klar, dass es an diesem Freitag zu Tornados kommen könnte. Wo diese tatsächlich auftreten, lässt sich allerdings nicht im Vorfeld sagen. Möglich ist hingegen eine Potentialabschätzung (siehe auch das Tagesthema vom 19.07.2021) und diese wurde dann unter anderem auch in der Vorabinformation vom Vortag kommuniziert. Als der potentielle Tornado dann mit Hilfe der Wetterradare und Zumeldungen erkannt wurde, tauchte die Begleiterscheinungen schließlich auch in den Akutwarnungen auf.

Zu guter Letzt noch ein paar Dinge für Interessierte. In einer Untersuchung über starke Tornados in Deutschland von 2013 bis 2020 wurden einige typische Bedingungen im Zusammenhang mit Tornadolagen ermittelt. Ein interessanter Aspekt war, dass es häufiger im Vorfeld von Tornadoereignissen bereits Niederschläge gibt, die unter anderem auch zu einer Anfeuchtung und damit einem Absenken der Wolkenunterseite führen können. Dies war immerhin in 12 von 17 untersuchten Ereignissen der Fall. In acht Fällen gab es direkt vor dem Event Schauer oder Gewitter und auch am 20.05. war dies wieder so. Des Weiteren hat man herausgefunden, dass ein und dasselbe Gewitter wiederholt Tornados hervorbringen kann. An acht von zehn Tagen, wo es mehr als einen Tornado gab, brachte ein Gewitter mindestens zwei Tornados hervor. Am 20.05. konnte dies wieder beobachtet werden. Die Gewitterzelle, die zum Paderborn-Tornado führte, hat nachweislich mindestens vier Tornados erzeugt (Lippstadt, Paderborn, Lütmarsen und Merxhausen), davon drei starke.

Zusammengefasst lässt sich die Lage am 20.05.2022 also als klassische Tornadowetterlage einordnen, wobei nach einer mehrjährigen Phase mit verhältnismäßig wenigen starken Tornados, die Statistik wieder zugeschlagen hat und mindestens drei Tornados der Stärke F2 aufgetreten sind. In den nächsten beiden Tagen geht es im Tagesthema in die Tornadohochburg USA, mit einem Blick auf den sich jährenden tödlichen El Reno Tornado.

Dipl.-Met. Marcus Beyer

Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 30.05.2022

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