Unfallträchtige Lawinentage in den Alpen
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Viel Neuschnee und nachfolgendes sonniges Wetter führten am vergangenen Wochenende zu einer hohen Zahl von Lawinenunglücken in den Alpen. Wir blicken auf die angespannte Lage zurück und nehmen den kritischen Schneedeckenaufbau unter die Lupe.
In den Alpen ereigneten sich traurigerweise seit vergangenem Freitag mehrere tödliche Lawinenunfälle. Dabei waren von Freitag bis Sonntag insgesamt elf Tote zu beklagen, acht davon allein in Tirol. Bei der Auslösung von teils großen Schneebrettlawinen kamen am Fließer Berg in der Samnaungruppe fünf, bei der Breitegg-Spitze in den westlichen Kitzbühler Alpen zwei und bei der Gammerspitze im Schmirntal in den nördlichen Zillertaler Alpen ein Wintersportler ums Leben. Auch in den Berchtesgadener Alpen wurden am vergangenen Samstag zwei Skitourengeher von einer Schneebrettlawine am Steintalhörndl mitgerissen, wobei einer nur noch tot geborgen werden konnte. Zwei Lawinenopfer waren zudem in Vorarlberg und im Schweizer Kanton Wallis zu beklagen. Ein weiterer Lawinenunfall ereignete sich schließlich am Dienstag im Langtauferer Tal, einem Seitental des oberen Vinschgaus an der Grenze zu Österreich, bei dem ein deutscher Skitourengeher verschüttet wurde und an der Unfallstelle verstarb.
Die hohe Zahl der Lawinenunfälle ist dabei auf eine Kombination verschiedener Faktoren zurückzuführen. Einer der entscheidenden Faktoren war das Wetter in der vergangenen Woche, dass in den Nordalpen zu einem ungünstigen Schneedeckenaufbau führte. Nach einer längeren schneearmen Zeit stellte sich die großräumige Wetterlage auf das Muster "Nordwest zyklonal" (mehr Infos zu dieser Wetterlage unter: https://t1p.de/sjbj). Insbesondere die aufeinanderfolgenden Tiefs "Odette" und "Philine" luden mit ihren Frontensystemen reichlich Schnee in den Nordwest- und Nordstaulagen der Alpen ab. Neuschneemengen von teils einem halben bis über einen Meter kamen dabei zusammen. Insbesondere in einigen Hochlagen von der Silvretta-Arlbergregion über die Lechtaler Alpen bis zum Karwendel konnten sich staubedingt durchaus auch um 1,5 bis knapp 2 Meter Neuschnee akkumulieren. Problematisch während der Niederschlagsperiode war zudem der stürmische Nordwestwind, der den frischen Neuschnee mächtig verlagerte und so für teils großen Triebschneeansammlungen sorgte. Innerhalb der vom Wind geformten Triebschneepakete weisen die Schneekristalle eine hohe Bindung auf und bilden somit gefährliche Schneebretter aus. Zudem fand auch zum Ende der Niederschlagsperiode und auch in der zweiten Wochenhälfte eine Erwärmung statt, wodurch sich die Neuschneedecke weiter verdichten konnte.
Ein weiterer ungünstiger Faktor für die Lawinensituation war zudem die Altschneeoberfläche, auf der sich der Neu- und Triebschnee ablagerte. So wiesen die aufgenommenen Schneeprofile an den Lawinenanrissen eine Schwachschicht aus kantigen Kristallen unterhalb einer dünnen Schmelzharschschicht auf, welche sich vor der letzten Schneefallperiode flächig gebildet hatte (siehe Abbildung 1: Schneeprofil vom Lawinenanriss am Fließer Berg in der Samnaungruppe). Da die Schwachschicht großflächig und oft gleichmäßig vorhanden war, ermöglichte alleine die Zusatzbelastung durch einzelne oder mehrere Wintersportler eine großflächige Bruchfortpflanzung und somit das Auslösen von mittelgroßen bis großen Schneebrettlawinen (für mehr Details zu Schneebrettlawinen siehe Thema des Tages vom 22.01.2020: https://t1p.de/r9kt).
Die Lawinengefahrenstufe wurde dementsprechend zunächst nach dem Neuschneeereignis von den Lawinenwarndiensten auf große Gefahr der Stufe 4 gesetzt. Zum vergangenen Freitag wurde sie auf die erhebliche Gefahrenstufe (Stufe 3) zurückgenommen. Bei sonnigem und mildem Wetter trieb es am vergangenen Wochenende viele Wintersportler und Skitourengeher in die Berge. Die Kombination von schönem Wetter und heikler Lawinensituation bildete dabei den Nährboden für die vielen tödlichen Unglücke. Statistisch gesehen passieren zwei Drittel aller Lawinenunglücke bei Gefahrenstufe 3.
Von Sonntag auf Montag brachte dann die Kaltfront von Sturmtief "Roxana" in den Nordalpen erneut starken Schneefall. Teils gab es 20 bis 40 Zentimeter Neuschnee. Problematisch erwies sich wiederum der Wind, der mit Sturm- und schweren Sturmböen, auf den Gipfeln auch mit vollem Orkan erneut für gefährliche Triebschneeansammlungen sorgte. Nachfolgend setzte und verfestigte sich bei Hochdruckeinfluss und deutlicher Erwärmung unter der Woche die Schneedecke, wodurch die Lawinengefahr in den Nordalpen auf die mäßige Stufe 2 zurückgenommen werden konnte. Lediglich in den zentralen Gebirgsgruppen oberhalb etwa 1600 m besteht weiterhin eine erhebliche Gefahrenstufe. Generell bleiben Bereiche mit Triebschneeansammlungen aber weiter störanfällig. Oft reicht schon ein einzelner Skifahrer zur Auslösung des Schneebrettes, wie etwa am gestrigen Donnerstag in den Allgäuer Alpen am Grießgrundkopf geschehen (siehe Abbildung 2).
Am heutigen Freitag bringt eine Kaltfront bei teils stürmischem Wind nochmal etwa 5 bis 15 Zentimeter Neuschnee in der Nordalpenregion. Die Lawinengefahrenlage bleibt daher weiter mäßig bis erheblich (Stufe 2 bis 3). Nachfolgend fließt polare Kaltluft ein, die am Wochenende unter Hochdruckeinfluss gerät. Zwar sinken die Temperaturen, aber an der derzeitigen Lawinengefahr dürfte sich vorerst kaum etwas ändern. Zur Gefahrenvermeidung gilt es dennoch, als Wintersportler ein gutes lawinenkundliches Beurteilungsvermögen mitzubringen und auf eine defensivere Routenwahl mit Meidung von steilen Hanglagen zu setzen.
M.Sc.-Met. Sebastian Altnau
Deutscher Wetterdienst