Luftig und leis
Für die einen ist es das "weiße Gold", für die anderen einfach eine lästige Begleiterscheinung. Neutral betrachtet, kann man sich der Faszination und dem Fassettenreichtum des Schnees allerdings kaum entziehen.
Die Begeisterung für die Meteorologie wird aus Erfahrung bei den meisten Menschen entweder über knackig kaltes Winterwetter mit Schnee, Eis und Frost oder aber durch sommerliche Gewitterlagen entfacht. Idealerweise sind beide Phänomene sogar in einem kurzen Wintergewitter mit Graupel vereint. Doch der Niederschlag muss ja nicht immer vom Himmel peitschen, sondern kann auch leise rieseln - als Schneeflocken.
A propos "leise": Getreu dem Text aus dem allseits bekannten Volkslied fällt der Schnee nicht nur nahezu geräuschlos zu Boden, sondern "schluckt" bei stärkeren Intensitäten auch allerhand an Schall und Rauch - Entschuldigung natürlich Lärm - aus der Umgebung. Anwohner unweit einer Autobahn oder eines Flughafens müssen dazu nicht mal aus dem Fenster schauen, wenn sie registrieren, dass es an diesem Morgen ungewöhnlich leise ist. Entweder wurde der Lockdown verschärft oder es schneit. Spätestens wenn dann noch die Kratzgeräusche einer Schaufel auf dem Asphalt zu hören sind, weil der Nachbar bekanntlich um 6 Uhr in der Früh aufsteht oder das Brummen eines Räumfahrzeugs ertönt, sind auch die letzten Zweifel ausgeräumt.
Doch warum schafft Schnee es eigentlich so gut, die Geräusche aus der Umgebung zu filtern? Das liegt an dessen Zusammensetzung. Wenn sich die sechseckigen Schneesterne im Idealfall bei Temperaturen zwischen -5 und -15 Grad bilden und auf dem Weg aus der Wolke zum Boden miteinander verhaken, so schließen sie viel Luft ein. Der Anteil von Luft in einer Schneeflocke macht rund 90% aus, nur die restlichen 10% sind Eis. Dringt der Schall dann in diese mit Luft gefüllten Hohlräume ein, wird er förmlich geschluckt. Das gleiche Prinzip wenden im Übrigen auch passionierte Schlagzeug- und E-Gitarrenspieler an, wenn sie Wände und die Decke im Bandraum mit leeren Eierkartons pflastern. Auch deren Lufteinschlüsse wirken isolierend.
Neben der teils bizarren Formen der Schneekristalle (keines gleicht dem anderen) entfaltet sich die Faszination des Schnees vor allem dann, wenn er bei bodennahen Temperaturen unterhalb des Gefrierpunktes liegen bleibt und die Natur in eine Winterlandschaft verzaubert. So konnten sich kleine und große Kinder nun auch in Süddeutschland endlich freuen, wo es in den vergangenen 24 Stunden (Mittwochfrüh bis Donnerstagfrüh) verbreitet 5 bis 10, an den Alpen bis 15 Zentimeter Neuschnee gegeben hat. Der Schall wird übrigens bei einer frischen Schneedecke ebenfalls noch (wenn auch nicht mehr so stark) absorbiert - auch wenn es bereits aufgehört hat zu schneien. Im Laufe der Zeit sackt die Schneedecke aufgrund des Eigengewichtes des Eisanteils immer mehr zusammen, die Lufteinschlüsse werden geringer und die Lärmminderung nimmt ab.
Die isolierende Wirkung des Schnees hat aber nicht nur Auswirkungen auf den Geräuschpegel, sondern auch auf die Temperaturen. So sind nach Beendigung eines Schneefallereignisses unmittelbar in der Folgenacht die kältesten Temperaturen zu erwarten, sofern die übrigen Voraussetzungen wie Windstille bei klarem Himmel gegeben sind. Damit kann der Schnee ideal - da ungehindert - Wärme in Form langwelliger Strahlung an höhere Luftschichten abgeben. Dadurch, dass der Boden durch die Schneedecke isoliert ist, erfolgt die Abstrahlung direkt über der Schneefläche - und Schnee ist ein hervorragender "Abstrahler" (Stichwort: Schwarzer Körper). Nur so waren die Extremwerte von bis zu -27 Grad in der Nacht zum gestrigen Mittwoch über der Landesmitte möglich. Ähnlich Werte wären in der vergangenen Nacht auch im Süden drin gewesen, es fehlten letztlich aber die entscheidenden Wolkenlücken über einen längeren Zeitraum. Somit war "schon" bei -20 Grad über Teilen Frankens Schluss.
Dipl.-Met. Robert Hausen
Deutscher Wetterdienst