Die Bannerwolke in der Wissenschaft Teil 2
Nachdem in "Die Bannerwolke in der Wissenschaft - Teil 1" auf die wissenschaftliche Geschichte der Bannerwolke eingegangen wurde, soll im heutigen Thema des Tages der aktuelle Stand der Forschung betrachtet werden. Dabei liegt der Fokus insbesondere auf der Arbeit um Prof. Dr. Volkmar Wirth an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz.
Bannerwolken treten häufig im Lee von hochaufragenden Berggipfeln oder an scharfen Bergrücken auf und geben dem Beobachter den Eindruck, als würde der obere Teil des Berges rauchen. Selbst an wolkenfreien Tagen ist ihre Beobachtung möglich. Das Vorkommen der Bannerwolke beschränkt sich allerdings nicht nur auf Berge. Paul Cleves konnte im Jahr 2013 eine Bannerwolke am 262 Meter hohen Bitexco Financial Tower in Ho Chi Minh Stadt (Vietnam) fotografisch festhalten. Da Passanten aufgrund der Ähnlichkeit der Wolke mit einer Rauchfahne dachten, das Gebäude würde brennen, wurde die örtliche Feuerwehr alarmiert.
Die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Volkmar Wirth beschäftigt sich an der Mainzer Universität seit mehreren Jahren mit Bannerwolken und der Erforschung ihres Entstehungsmechanismus. Die Faszination mit der Bannerwolke rührt laut Wirth daher, dass sie auf den ersten Blick der meteorologischen Intuition widerspricht: Wird ein Luftpaket im Luv eines Berges zum Aufsteigen gezwungen, bildet sich genau dort auch eine Wolke. Bei der Bannerwolke ist die Luvseite, also die Seite der Anströmung, jedoch wolkenfrei. Sie tritt ausschließlich im Lee des Berges auf der windabgewandten Seite auf.
Getrieben von dieser Faszination analysierten Volkmar Wirth und Kollegen im Jahr 2012 unter Berücksichtigung der Definition nach Schween und Kollegen (2007; siehe "Die Bannerwolke in der Wissenschaft - Teil 1" vom 23.09.2020 unter https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2020/9/23.html) systematische Beobachtungen von Bannerwolkenereignissen an der Zugspitze und trugen somit wesentlich zum Verständnis der Bannerwolken-Klimatologie bei. Dabei wurden an 797 Tagen insgesamt 170 Bannerwolkenereignisse gezählt. Das Hauptaugenmerk lag dabei unter anderem auf der Zeitskala, auf der Bannerwolken existieren. Diese beläuft sich im Schnitt auf 40 Minuten. Tendenziell treten Bannerwolken häufiger in Sommermonaten auf. Hier werden durchschnittlich 8 bis 12 Ereignisse pro Monat gezählt. In den Wintermonaten sind es durchschnittlich lediglich 2 Ereignisse.
Daraufhin folgten numerische Simulationen von Bannerwolken mithilfe eines Modells für Grobstruktursimulationen (engl. "Large Eddy Simulation"). Dabei wurde meist eine dreidimensionale Strömung um eine idealisierte Orografie in Form einer Pyramide oder eines zweidimensionalen Bergkamms betrachtet.
Reinert und Wirth diskutierten im Jahr 2009 zunächst die bis dahin in der Vergangenheit veröffentlichten Entstehungshypothesen und fassten diese in drei Kategorien zusammen. Im Jahr 2013 untersuchten Voigt und Wirth schließlich diese drei Kategorien mithilfe systematischer numerischer Modellierungen: Sowohl die adiabatische Expansion in einem lokalen Druckminimum im Lee des Berges (Stichwort: Bernoulli-Effekt) als auch die Entstehung durch Mischungsnebel waren ihren Berechnungen zufolge vernachlässigbar bei der Bildung von Bannerwolken. Als weitaus wichtigster und auch hinreichender Mechanismus für deren Entstehung wurde die vertikale Hebung in einem Leewirbel bei schwacher vertikaler Stabilität identifiziert.
Schappert und Wirth nahmen im Jahr 2015 daraufhin die verschiedenen Wege der Luftpakete, die durch die Bannerwolke strömen und deren Entstehung bedingen, unter die Lupe. Diese Luftpakete wiesen zwar höchst komplexe Trajektorien auf, ließen sich jedoch in zwei Klassen einteilen: Zum einen gibt es langsame Luftpakete, die aus niedrigen Höhen stammen und den Berg seitlich umströmen, um schließlich in einer bogenförmigen Wirbelstruktur langsam spiralartig aufzusteigen. Diese starke Hebung des Luftpakets im Bogenwirbel sorgt für adiabatische Expansion und folglich für die Kühlung der leeseitigen Luft, was letztlich zur Kondensation des Wasserdampfes und zur Bannerwolkenbildung führt. Zum anderen existieren schnellere Luftpakete, die aus etwas höher gelegenen Luftschichten stammen, eher den direkten Weg in die Bannerwolke suchen und folglich nicht allzu stark gehoben werden.
Besonders bei der Betrachtung von Stromlinien eines zeitlich gemittelten Windfeldes kommt das spiralförmige Aufsteigen gut zur Geltung und ist in der Abbildung unter https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2020/10/12.html dargestellt. Dort dargestellt sind die Stromlinien ausgewählter Luftpakete um einen idealisierten Berg in Form einer Pyramide, wobei alle Luftpakete ursprünglich die gleiche Startgeschwindigkeit aufweisen. Dabei fällt auf, dass es durchaus "schnelle" Luftpakete (rote Stromlinien) gibt, die die Bannerwolke (semi-transparente Schattierung im Lee des Gipfels) auf "direktem Weg" erreichen, während andere (grüne und blaue Stromlinie) wiederum für eine gewisse Zeit im Leewirbel gefangen werden, nur allmählich aufsteigen und somit eine deutlich längere Laufzeit aufweisen.
Weitere Untersuchungen von Prestel und Wirth beschäftigten sich 2016 mit der Bannerwolkenbildung unter verschiedenen Strömungsverhältnissen und dem Einfluss der Orografie auf deren Entstehung. Dabei analysierten sie unter anderem auch die Veränderung des Wirbels auf der windabgewandten Seite der Pyramide und stellten eine geringere Hebung auf der windzugewandten Seite fest, was wiederum die Wolkenbildung im Luv unterdrückt und die Bildung einer Bannerwolke, die ausschließlich im Lee des Berges auftritt, begünstigt (ohne Abbildung).
Selbstverständlich gibt es viele weitere interessante Fragen rund um das Thema Bannerwolken, mit dem sich die Wissenschaftler an der Johannes Gutenberg-Universität beschäftigen. Bereits im Dezember startet ein neuer Doktorand, der die Bannerwolkenbildung mit realistischer Matterhorn-Orografie genauer erforscht. Dennoch wird alle wissenschaftliche Erkenntnis laut Wirth auch in Zukunft die Faszination beim Betrachten dieses eher seltenen Naturphänomens unberührt lassen.
MSc.-Met. Sebastian Schappert
Deutscher Wetterdienst