Medicane UDINE über dem Ionischen Meer
Mittlerweile fast jedes Jahr im Herbst zeigt sich über dem Mittelmeer das Phänomen des hurrikan-ähnlichen Wirbelsturms "Medicane". In den kommenden Tagen zieht ein solcher über dem Ionischen Meer seine Kreise, tangiert Italien und trifft dann vor allem Griechenland.
In den 1980er-Jahren prägten Wissenschaftler den Begriff des "Medicane" (zusammengesetzt aus den englischen Wörtern medi(terranean) und (hurri)cane), als ihnen in den Herbstmonaten über dem Mittelmeer Wolkenformationen auffielen, die wie ein Hurrikan aussahen. In einem solchen Wirbelsturm sind Wolkenbänder ähnlich wie bei einer Galaxis spiralförmig und entgegen dem Uhrzeigersinn um ein Zentrum angeordnet. Im Zentrum selber herrscht in einem kleinen Bereich Absinken, was dort zur Wolkenauflösung führt. Dieser Bereich sticht dann wie ein Auge hervor, was in den meisten Fällen auch ein Merkmal eines Hurrikans ist.
Medicanes können in Anlehnung an die Saffir-Simpson-Skala (inoffiziell) in drei Stufen eingeteilt werden: Bei einem 1-Minuten-Mittel-Wind bis 62 km/h (alternativ 10-Minuten-Mittel-Wind bis 54 km/h) handelt es sich um eine "mediterrane tropische Störung", bei 1-Minuten-Mittel-Winden bis 111 km/h (bzw. 10-Minuten-Mittel-Winden bis 99 km/h) um einen "mediterranen tropischen Sturm". Ab einem 1-Minuten-Mittelwind von 112 km/h (bzw. ab einem 10-Minuten-Mittel-Wind von 100 km/h) kann dann von einem "Medicane" gesprochen werden. Bei einem Hurrikan müssen allerdings 119 km/h oder mehr erreicht werden, damit der Begriff verwendet werden kann. Medicanes erreichen meist etwas niedrigere Windspitzen als Hurrikane (nur selten Stufe 1 der Saffir-Simpson-Skala), weshalb die etwas niedrige Schwelle von 112 km/h angesetzt wurde. Weitere Informationen zum Thema "Medicane" gibt es im DWD-Lexikon unter https://bit.ly/3c1iue6 und im Thema des Tages vom 1. September 2015 unter https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2015/9/1.html.
In den 2010er-Jahren ließen sich fast jedes Jahr im Herbst Medicanes beobachten. Zuletzt sorgte Medicane ZORBAS, ebenfalls über dem Ionischen Meer entstanden, vom 27. September bis 1. Oktober 2018 für Schlagzeilen. Davor machte Medicane NUMA ausgehend vom Adriatischen Meer vom 16. bis zum 19. November 2017 mächtig Wirbel. Weitere Medicanes waren 2016, 2014 und 2011 unterwegs, weiter zurück in der Vergangenheit finden sich einige weitere Beispiele. Ob es nach dieser Häufigkeit des Auftretens in den 2010er-Jahre auch in Zukunft zu einer Zunahme dieser Stürme kommt, ist allerdings umstritten, da es in wissenschaftlichen Studien bisher keine eindeutigen Ergebnisse dazu gibt.
Beim aktuellen Tief bzw. Sturm über dem Ionischen Meer mit dem Namen UDINE, das schon seit dem 14. September erkennbar ist, ist bis zum heutigen Mittwochmorgen noch kein Auge im Satellitenbild sichtbar geworden. Es liegen auch keine Windböen-Meldungen vor, da sich der Sturm über dem offenen Meer befindet. Laut Prognosen sollen die 3-stündigen Windspitzen aktuell bei 75 bis 100 km/h liegen und können am heutigen Mittwoch bis zu 150 km/h erreichen. Am Donnerstag und Freitag, wenn der Sturm auf Griechenland zuzieht, simuliert das europäische Wettermodell vom EZMW sogar 3-stündige Windspitzen von 150 bis 210 km/h (siehe Grafik unter dem Thema des Tages unter https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2020/9/16.html)! Es ist daher wahrscheinlich, dass die 1- oder 10-Minuten-Windmittel die Bedingungen eines Medicanes erfüllen werden.
Darüber hinaus hat ein Medicane oft enorme Regenmengen an Bord, da er sich über dem Meer mit Feuchtigkeit vollsaugen kann. Die Wettermodelle sagen bis Samstag jeweils 24-stündig rund 200 bis 300 Liter pro Quadratmeter (l/qm) vorher (siehe Grafik), einzelne Modelle zeigen lokal sogar über 500 l/qm an! Zunächst regnet es aber hauptsächlich über dem Meer, erst mit Verlagerung des Sturms nach Osten sind am Freitag und Samstag auch größere Landmassen betroffen. Dabei dürfte insbesondere Griechenland von den Niederschlägen heimgesucht werden, bevor sich der Medicane am Sonntag ohne Unterstützung des warmen Meeres deutlich abschwächt.
Dipl.-Met. Simon Trippler
Deutscher Wetterdienst