Gegen den Strom
Zu Wochenbeginn folgten auf extrem ergiebigen Dauerregen an den Alpen und im angrenzenden Vorland Hochwasser und Überschwemmungen. Heute ziehen wir Bilanz und erklären die außergewöhnliche Wetterlage.
Während die Blicke meist schon auf die bevorstehende (oder bereits begonnene) Hitzewelle gerichtet sind, schauen wir nochmals auf eine interessante Wetterlage zurück. Im südlichen Alpenvorland öffnete der Himmel alle Schleusen mit nachfolgend unschönen Auswirkungen. Im Norden und in der Mitte regnete es hingegen kaum oder es blieb gänzlich trocken.
Wieviel hat es geregnet?
Etwa südlich des Mains kam es am vergangenen Montag und Dienstag (3. und 4.8.) zeitweise zu Regenfällen, die mit jedem Kilometer Richtung Alpen kräftiger wurden und im südlichen Alpenvorland in extremen Dauerregen mündeten. Die beigefügte Grafik zeigt die 48-stündigen Niederschlagsmengen von Sonntag (18 Uhr, MESZ) bis Dienstag (18 Uhr, MESZ), abgeleitet aus Radardaten und angeeicht an Messstationen. Etwa von den Landkreisen Bad Tölz-Wolfratshausen bis hinüber zum Berchtesgadener Land schüttete es besonders ergiebig. Dort prasselten innerhalb von nur zwei Tagen verbreitet 150 bis 200 Liter pro Quadratmeter (l/qm) vom Himmel, örtlich sogar noch mehr. Der meiste gemessene Regen fiel mit sage und schreibe 231 l/qm im kleinen Ort Neukirchen (Gemeinde Teisendorf) im nördlichen Berchtesgadener Land. Eine Liste der regenreichsten Orte finden Sie am Ende des Textes. Weiter nördlich und westlich regnete es zwar nicht ganz so viel, aber dennoch üppig. Selbst im Münchner Süden liefen bei rund 100 l/qm sicherlich einige Regentonnen über. Zwischen Main und Donau wurden 0 bis 50 l/qm gemessen, im Bayerischen Wald sowie lokal in kräftigen Gewittern auch etwas mehr.
Wie kam dieser Regen zustande?
Los ging es bereits am Sonntag. Eine Kaltfront lag diagonal über Deutschland, davor befand sich im Süden noch feucht-warme und energiereiche Luft, in der Schauer und Gewitter entstanden, die sich recht schnell zusammenschlossen und vielerorts Regen brachten. In der Nacht zum Montag erreichte die Kaltfront die Alpen und überquerte sie schließlich. Die feucht-warme Luft wurde damit aus Deutschland verdrängt und hinter der Front durch kühlere Meeresluft ersetzt. Die Regenfälle legten am Montag zunächst eine Pause ein, beziehungsweise zogen sich in die Alpen zurück. Doch schon am Nachmittag entstanden im Süden neue schauerartige Niederschläge, teils mit Blitz und Donner. Zudem brachte sich im Laufe des Montags ein weiterer "Player" namens FARIDEH in Stellung - ein Tief, das sich südlich der Alpen an der Vorderseite eines sich abtropfenden Höhentiefs über Norditalien formierte und immer vitaler wurde. FARIDEH ließ vor allem in der Nacht zum Dienstag ihre Muskeln spielen und war für den größten Teil des Regens im südlichen Alpenvorland verantwortlich. Es stellte sich nämlich eine ausgeprägte "Gegenstromlage" ein. Wie erwähnt gelangte in unteren Atmosphärenschichten mit einer nördlichen bis nordwestlichen Strömung kühle Meeresluft bis zu den Alpen. In höheren Atmosphärenschichten drehte der Wind allerdings zusehends nach rechts. Etwa oberhalb von 5 km Höhe wehte schließlich der Wind aus südlichen Richtungen, also in genau entgegengesetzter Richtung zum Boden. Daher bezeichnet man diese Wetterlage als "Gegenstromlage". Mit dieser Südströmung schaufelte FARIDEH (beziehungsweise das dazugehörige Höhentief) gewaltige Massen feucht-warmer Luft vom Mittelmeerraum über die Alpen. Sie wurde zunächst durch das Überströmen der Alpen gehoben und glitt anschließend über und nördlich der Alpen auf die kühlere und damit schwerere Meeresluft auf (siehe Skizze in beigefügter Abbildung). Durch diese Hebungsvorgänge bildeten sich aufgrund des hohen Wassergehalts der Mittelmeerluft massive Aufgleitniederschläge. So entstand aus den Alpen heraus ein großflächiges Regengebiet, wobei sich die Niederschläge in der Nacht zum Dienstag extrem verstärkten. Daher fiel während der Nacht ein nicht unerheblicher Teil der erwähnten Regenmengen sogar innerhalb von weniger als 12 Stunden. Erst am Dienstag ließ der Regen von Norden her allmählich nach, hielt an den Alpen aber noch bis zum Abend an. Typisch für eine Gegenstromlage fiel der meiste Regen nicht direkt im Nordanstau der Alpen, sondern etwas weiter nördlich im südlichen Vorland.
Was waren die Auswirkungen?
Derart hohe Regenmengen über so kurze Zeit und in einem recht großen Gebiet blieben natürlich nicht ohne Folgen. Schon in der Nacht zum Montag uferten Wildbäche aus und die Pegel zahlreicher kleinerer Flüsse stiegen sprunghaft um mehrere Meter an. Beispielsweise überstieg die Stoißer Ache bei Piding den Pegel des Rekordhochwassers vom 18.8.2002 um 20 Zentimeter; die Mangfall erreichte bei Feldolling die höchste Hochwasserstufe 4, weitere Flüsse immerhin Meldestufe 3. Nur wenige Stunden später stiegen die Pegel von Isar und Inn rasant an. In Wasserburg lag der Scheitel des Inns nur 8 cm unter der höchsten Hochwassermeldestufe, sodass Schutzvorkehrungen getroffen wurden. In der gesamten Region mussten zahlreiche Straßen wegen Überschwemmungen oder Murenabgängen gesperrt und der Bahnverkehr auf mehreren Strecken eingestellt werden. Sogar die A8 war im Chiemgau in beiden Richtungen wegen Überflutung gesperrt und nur kurze Zeit später war auch die eingerichtete Umfahrung überschwemmt. Selbst der Wasserstand des Tegernsees stieg innerhalb eines Tages um etwa einen Meter an, was die enormen Regenmassen eindrucksvoll verdeutlicht. Zuletzt war die Donau bei Passau an der Reihe, die am frühen Mittwochmorgen mit einem Pegel von 797 cm (Meldestufe 3) ihren Höchststand erreichte. Mittlerweise ist das Hochwasser wieder Geschichte und in Anbetracht der kommenden Hitzewelle wird sich manch einer wahrscheinlich sogar über den üppigen Regen freuen.
Orte mit mehr als 150 l/qm (Sonntag, 2.8., 18 Uhr, bis Dienstag 4.8., 18 Uhr, MESZ):
231 l/qm - Teisendorf-Neukirchen
216 l/qm - Grassau
210 l/qm - Salzburg-Flughafen (Österreich)
199 l/qm - Teisendorf-Babing
197 l/qm - Siegsdorf-Höll
192 l/qm - Teisendorf
183 l/qm - Waakirchen-Demmelburg
173 l/qm - Ruhpolding
171 l/qm - Obere Firstalm
167 l/qm - Kreuth-Glashütte
166 l/qm - Inzell
162 l/qm - Brannenburg-Degerndorf
159 l/qm - Chiemsee-Herrenchiemsee
157 l/qm - Jachenau-Tannern
154 l/qm - Piding
Dr. rer. nat. Markus Übel (Meteorologe)
Deutscher Wetterdienst