Radiosondenaufstieg für Einsteiger, oder: Einblick in den
Liniendschungel
Sie möchten gerne mal selbst einen der für die Wettervorhersage so wichtigen Radiosondenaufstiege analysieren? Kein Problem!
Vergangenen Montag wurden an dieser Stelle ausführlich die für die Wettervorhersage so wichtigen Radiosonden behandelt (siehe https://bit.ly/3eVmbm9 ). Kurz zusammengefasst ist eine Radiosonde ein Messgerät, dass an einem zumeist mit Helium gefülltem Ballon so lange durch die Atmosphäre steigt, bis der Ballon platzt. Die gewonnenen Messdaten stehen dann als Vertikalprofil in einem sogenannten TLogP- oder besser bekannt als Skew-T-Diagramm zur Verfügung. Wie so etwas aussieht? Schauen wir uns dafür mal als Beispiel den beigefügten Aufstieg von Idar-Oberstein am heutigen Freitag von 0 UTC an (siehe https://bit.ly/2YVJCpY ). Ein Linienchaos sondergleichen meinen Sie? Auf den ersten Blick mag das einem durchaus so vorkommen, aber mit etwas Ruhe und einmal tief durchatmen, werden Sie schnell feststellen, dass es eigentlich gar nicht so schwer ist, sich zurecht zu finden.
Wie wir bereits wissen, misst eine Radiosonde im Allgemeinen Luftdruck, -temperatur und -feuchtigkeit sowie indirekt über die Verlagerung durch den Wind dessen Geschwindigkeit und Richtung. Diese Parameter sind allesamt im Hauptdiagrammteil zu finden, während im kleinen Diagrammteil rechts zusätzlich noch einmal die Windgeschwindigkeit als Kurvendarstellung abgebildet ist (Horizontalachse: Windgeschwindigkeit in Knoten; Vertikalachse: Höhe in km bzw. für den Flugverkehr Fluglevel in Fuß).
Im Hauptdiagrammteil ist auf der horizontalen Achse die Temperatur in Grad Celsius aufgeführt, wobei die dazugehörigen Isothermen (also Linien, auf denen immer dieselbe Temperatur herrscht) von links unten nach rechts oben verlaufen (also schräg, daher die englische Bezeichnung "skew"). Diese Linien sind im 10 Grad Abstand eingezeichnet, wobei die 0-Grad-Isotherme blau hervorgehoben ist (auf dieser blauen Linie beträgt die Temperatur demnach immer 0 Grad). Auf der vertikalen Achse ist links der Luftdruck in hPa (Hektopascal) dargestellt (für die Fliegerei in Rot erneut Fluglevel in Fuß). Der Druck nimmt mit der Höhe ab und bleibt entlang der waagerechten braunen Linien konstant. Um in etwa zu wissen, in welcher Höhe man sich befindet, ist am rechten Rand zusätzlich noch die Höhe in km über Meeresniveau angegeben.
Damit steht der Rahmen! Nehmen wir nun mal das "Bild" unter die Lupe. Bei der durchgezogenen mehr oder weniger zappeligen Kurve im Hauptdiagrammteil handelt es sich um die von der Radiosonde gemessene Temperatur. Sie startet also etwa im Druckniveau 950 hPa und beträgt dort etwa 13 Grad. Bei gut 400 hPa verlässt sie den Bildausschnitt und liegt dann grob geschätzt bei knapp -30 Grad. Links neben der Temperaturkurve verläuft ebenfalls in schwarz, aber in gestrichelter Form, die Kurve für den gemessenen Taupunkt. Der Taupunkt steht für die Luftfeuchtigkeit, da er nichts anderes ist als die Temperatur, auf die die Luft abgekühlt werden müsste, um eine relative Luftfeuchtigkeit von 100 % zu erreichen. Anders ausgedrückt: Dort, wo die Temperaturkurve die Taupunktkurve berührt, liegt die Luftfeuchtigkeit bei 100 %. Zu Beginn, also bei rund 950 hPa, beträgt der Taupunkt etwa 11 Grad, bei etwa 400 hPa stolze -50 Grad.
Richten wir unseren Blick nun noch auf den rechten Rand des Hauptdiagrammteils, wo neben der Höhe in km auch die gemessene Windgeschwindigkeit und -richtung als Windfieder dargestellt sind. Die Geschwindigkeit wird durch kleine und große Striche und/oder Dreiecke am Ende der Fieder angezeigt. Ein kleiner Strich steht dabei für 5 Knoten, ein großer für 10 und ein Dreieck für 50. Die Geschwindigkeit ergibt sich schließlich aus der Summe aller Striche und/oder Dreiecke. Die Richtung lässt sich aus der Orientierung der Fiederspitze ablesen. Zeigt diese z.B. nach rechts (also nach Osten) bedeutet das, dass der Wind aus Westen kommt. In unserem Beispiel weht der Wind am Startpunkt, also auf etwa 950 hPa mit 10 Knoten (ein langer Strich) und kommt aus West. Auf 550 hPa, also in 5 km Höhe, bläst er dagegen mit etwa 35 Knoten (drei lange und ein kurzer Strich) ebenfalls aus West.
Damit haben Sie das nötige Rüstzeug, um in Zukunft eigenständig Radiosondenaufstiege zumindest in ihren Grundzügen zu analysieren, z.B. ob irgendwo Inversionen vorhanden sind (Bereiche, in denen die Temperatur mit der Höhe zunimmt, wie in unserem Beispiel in Bodennähe und auf etwa 700 hPa), in welchen Schichten die Luft relativ feucht oder trocken ist, ob der Wind mit der Höhe dreht und in welchen Schichten Windmaxima vorhanden sind (Stichwort Low-Level-Jet). Radiosondenaufstiege für Europa finden Sie unter https://bit.ly/3dUIreN .
In einem der nächsten Themen des Tages werden wir uns dann noch die restlichen Linien vornehmen und zeigen, was man alles mit ihrer Hilfe über die "Qualität" der Luftmasse aussagen kann (z.B. das Potenzial für schwere Gewitter).
Dipl.-Met. Tobias Reinartz
Deutscher Wetterdienst