Schnell war klar, dass es eine Rückkehr im April und voraussichtlich
auch im Mai nicht geben wird."
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Seit über drei Wochen wären sie schon wieder bei ihren Familien in Deutschland, aber wann unsere Kollegen Robert Hausen und Christian Rohleder endlich nach Hause zurückkehren können, ist immer noch ungewiss. Sie nehmen seit Ende Januar dieses Jahres an der internationalen Arktis-Expedition MOSAiC teil. Aber warum kommen sie nicht zurück? Wir haben bei Robert Hausen persönlich nachgefragt.
Im September 2019 ging das Forschungsschiff (FS) Polarstern auf große Reise. Nach rund zwei Wochen legte der Eisbrecher an einer großen Eisscholle an und lässt sich seitdem durch die Arktis treiben, immer mit der Eisdrift. Die Expedition MOSAiC war ursprünglich in sechs Abschnitte (sogenannte "Legs") eingeteilt, die seit dem jüngsten Update zu fünf zusammengefasst wurden.
Der Deutsche Wetterdienst ist auf FS Polarstern in der Regel durch einen Meteorologen und einen Wetterfunktechniker vertreten, welche den Kapitän, den Fahrtleiter und die Piloten in allen Fragen rund ums Wetter beraten. Diese Aufgabe haben derzeit unsere Kollegen Robert Hausen und Christian Rohleder inne. Am 23. Januar dieses Jahres begann ihre Reise und seit dem 5. April sollten sie bereits wieder zu Hause sein. Doch es lief nicht alles so, wie es laufen sollte. Es ist Ende April und die beiden sind noch immer auf dem Schiff ohne ein genaues Datum zu kennen, an dem sie ihre Familien wiedersehen werden.
Wir haben mit unserem Kollegen Robert ein kleines Interview geführt, ihn zu seiner Situation an Bord befragt und um seine aktuellen Gedanken gebeten:
Fruntke: Robert, erzähle uns kurz, wie deine Reise im Zuge der MOSAiC-Expedition begann! Am 23. Januar bist du nach Tromsø geflogen. Wann bist du dann auf FS Polarstern angekommen und wie verlief die Zubringerreise bis dahin?
Hausen: Nach einem zweitägigen Sicherheitsseminar, bei dem wir nochmal sämtliche Risiken, Gefahren und Herausforderungen der Expedition theoretisch und praktisch durchgespielt haben, stachen wir am 27. Januar mit dem russischen Eisbrecher namens "Kapitan Dranitsyn" in See. Unmittelbar danach ergab sich bereits die erste Verzögerung, als wir im Fjord rund eine Woche auf besseres Wetter warten mussten, da in der Barentssee zu dieser Zeit heftige Stürme tobten. Nach der kurzen Überfahrt im offenen Wasser begann dann ab dem 07. Februar nördlich von Franz-Josef-Land unsere beschwerliche Tour durch teils mehrjähriges Eis. Die Distanz zur FS Polarstern (etwas nördlich von 88 Grad Nord) betrug zu diesem Zeitpunkt noch mehr als 600 Kilometer. Es gab Tage, da war der Druck auf dem Eis so groß, dass wir nur wenige Kilometer schafften und erste Zweifel aufkamen, ob wir jemals ankommen würden. Unsere endgültige Parkposition für den Austausch erreichten wir am 28. Februar - rund zwei Wochen später als ursprünglich veranschlagt.
Fruntke: Du bist nicht allein angereist, sondern mit unserem Kollegen Christian Rohleder. Wie habt ihr euch die Zeit auf dem Schiff vertrieben? Gab es Möglichkeiten, auch auf der Kapitan Dranitsyn die Schiffsführung bzgl. der Wetterbedingungen zu beraten?
Hausen: Für die Wetter- und Eisberatung hatte die Crew der Kapitan Dranitsyn einen eigenen, sehr erfahrenen und sympathischen Experten an Bord, von dem man viel lernen konnte. In kritischen Situationen haben uns unsere Kollegen von FS Polarstern mit zusätzlichen Daten versorgt, die unterstützend genutzt werden konnten. In den Abendmeetings haben wir situativ auch die Besatzung und Wissenschaft des Abschnitts 3 über die aktuelle Wetterlage informiert, die Beratung der Schiffsleitung der Kapitan Dranitsyn oblag aber ausschließlich dem russischen Kollegen.
Die Tage vergingen trotzdem recht schnell, da viele soziale Events wie Quiz- und Filmabende, Tischtennisturniere, Wissenschaftsvorträge, etc. stattfanden. Zwischendurch hat man mal einen ausgiebigen Spaziergang an Deck unternommen, Fotos sortiert oder eine Partie Schach gespielt. Durch die anhaltende Dunkelheit war man zudem sehr müde und hat viel geschlafen.
Fruntke: Wie war der erste Eindruck auf FS Polarstern und von der kleinen Expeditionsstadt, die vor Ort in der Arktis auf der Eisscholle aufgebaut wurde?
Hausen: Auf dem Reißbrett sieht das alles so kompliziert aus. In der Realität ist es doch aber sehr übersichtlich. Man erblickt ein Meer an roten und grünen Flaggen, die die unterschiedlichen Messfelder (rot) von den Wegen (grün) abgrenzen.
Fruntke: Ihr habt unsere zwei Meteorologen Julia Wenzel und Steffen Schröter abgelöst. Erfolgte die Übergabe kurz und knapp oder habt ihr euch Zeit nehmen können?
Hausen: Wir waren in der komfortablen Situation, dass die Übergabe in den jeweiligen Wissenschaftsgruppen (Meteorologen, Ozeanographen, Biologen, etc.) auf fünf Tage angesetzt war. So konnten wir uns in Ruhe über die gewonnenen Erfahrungen und täglichen Abläufe austauschen, mussten aber zum Essen und Schlafen wieder zurück auf unserem Zubringer Kapitan Dranitsyn sein. Am 03. März haben wir schließlich final das "Kommando" übernommen und die Kollegen von Leg 3 traten bald darauf ihre Heimreise an.
Fruntke: Danach hat dich der Arbeitsalltag nach wenigen Tagen eingeholt?
Hausen: Es brauchte ein paar Tage Anlauf, dann setzte die Routine ein und die Abläufe gingen in Fleisch und Blut über, da sie sich täglich gleichen: Am Morgen um sechs Uhr aufstehen, Frühberichte erstellen, Meeting mit Kapitän, Fahrtleitung und Piloten abhalten, ständige Wetterüberwachung, Sichtung und Interpretation der neuesten Satelliten- und Modelldaten, Beratungen für sämtliche Aktivitäten auf dem Eis, Vorbereitung der Präsentation für das Abendmeeting, Wetterberichte abends aktualisieren. Dann ist man irgendwann auch froh, wenn der Tag wieder geschafft ist. So sind wir gewissermaßen rund um die Uhr auf Abruf der wichtigste Ansprechpartner in allen Fragestellungen hinsichtlich des zu erwartenden Wetters.
Fruntke: Du hast ja bereits schon zwei Mal an der deutschen Forschungsstation Neumayer III in der Antarktis den Deutschen Wetterdienst vertreten und fast jedes Wetter dort erlebt. Welche Besonderheiten haben sich in der Arktis bei der MOSAiC-Expedition bisher gezeigt? Was hat dich von meteorologischer Seite her überrascht?
Hausen: Die Eissituation ist viel dynamischer. Das Meereis ist durch Strömungen, Gezeiten und Winde ständig in Bewegung, so dass sich von jetzt auf gleich neue Bruchstellen (Leads) ergeben können. Tritt erstmal eine größere Fläche offenen (warmen) Wassers zutage, sorgt die vergleichsweise kalte Umgebungsluft umgehend für Seerauch (Nebel), was einen entscheidenden Einfluss auf geplante Flugaktivitäten haben kann. Das Schelfeis in der Antarktis ist mit langsameren Fließgeschwindigkeiten weitaus stabiler. Zudem haben mich die Temperaturen überrascht. Bei unserer Ankunft hatten wir in zwei Metern Höhe teilweise unter -40 Grad. Das durfte ich bisher noch nie erleben. Außerdem ist die relative Feuchte unabhängig von der Luftmasse erstaunlich konstant bei meist um die 80 Prozent. Nicht zuletzt ist der unterstützende Einsatz als Eisbärenwache eine vollkommen neue Erfahrung!
Fruntke: Neben all der Abwechslung an Bord schlichen sich in die Nachrichten, die ihr täglich via "Tagesschau" sehen könnt, immer häufiger die Berichte über das Coronavirus ein. Wann habt ihr das erste Mal von dem Virus gehört und wie hat es den Ablauf der Expedition beeinträchtigt? Wurde euch die Situation in Deutschland und der Welt auf besonderem Wege mitgeteilt?
Hausen: Wir hatten uns auf FS Polarstern gerade richtig eingefunden, da bekam das Thema binnen kürzester Zeit eine unfassbare Dynamik mit den stetig steigenden Infektionszahlen, Toten und wachsenden Einschränkungen. Bilder von verwaisten Innenstädten wie Berlin, London, Rom, Madrid oder New York zu sehen, erschien einfach nur surreal. Ich konnte es gar nicht fassen oder gar einordnen. Dazu kam dann noch die Ansprache der Bundeskanzlerin, die wir hier verfolgen konnten. Daraufhin hatten wir mehrere Krisenmeetings an Bord, bei denen nach und nach immer mehr Optionen unserer ursprünglich geplanten Ablöse weggefallen sind - teils durch unsere unzureichend ausgebaute Landebahn wegen des dynamischen Eises, teils durch die massiven Einschränkungen in der Corona-Krise. Spätestens Mitte März war bereits klar, dass es eine Rückkehr im April und voraussichtlich auch im Mai - unter der Voraussetzung einer Fortsetzung von MOSAiC - für uns nicht geben wird. Das war im ersten Moment ein ziemlicher Schock!
Fruntke: Da eure Ablösung nicht kommen kann, ist es immer noch unsicher, wann ihr endlich nach Hause dürft. Gibt es schon einen Plan B?
Hausen: Nach derzeitigem Stand geht ein neues MOSAiC-Team zeitnah in Quarantäne und sticht Mitte Mai von Bremerhaven aus in See, um sich mit den derzeitigen MOSAiC-Teilnehmern in der Nähe von Spitzbergen zur Übergabe zu treffen. Wenn alles planmäßig klappt, fahren wir dann mit den deutschen Forschungsschiffen "Sonne" und "Merian" zurück nach Bremerhaven, wo wir ca. Anfang Juni ankommen würden. Dabei sind allerdings neben Corona so viele Variablen im Spiel (z.B. Wetter, Eissituation, Logistik, ?), weshalb so viele Wochen im Voraus nach all den Erfahrungen der letzten Monate noch keine wirkliche Vorfreude aufkommen will. Zumal im Falle ungeplanter Verzögerungen nicht von wenigen Tagen, sondern schnell von einigen Wochen die Rede sein kann.
Fruntke: Wie ist die Stimmung an Bord? Ziehen alle noch am selben Strang?
Hausen: Das variiert wirklich sehr stark, von Person zu Person, aber auch von Zeit zu Zeit. Es gibt Leute, die gehen hier in ihrer täglichen wissenschaftlichen Arbeit auch nach der langen Zeit total auf und wollen am liebsten gar nicht mehr weg. Andere wären lieber heute als morgen zurück bei ihren Familien.
Wir gehen hier im Team weiterhin motiviert unserer Arbeit nach. Für das leibliche Wohl wird bestens gesorgt. Das Essen ist abwechslungsreich und schmeckt super, zudem haben wir nach Feierabend etliche Freizeitmöglichkeiten wie Fitness, Wasserball, Sauna, Tischtennis, Kicker u. v. m. Dennoch merken wir, dass sich nach all den Monaten langsam eine körperliche und vor allem mentale Erschöpfung einstellt. Zudem kann sich die Lage daheim jederzeit schlagartig ändern.
Fruntke: Deine Familie hast du seit Ende Januar nicht mehr gesehen. Telefoniert ihr oft?
Hausen: Wir schreiben uns meist täglich und halten uns so auf dem Laufenden. Darüber hinaus telefonieren wir etwa alle zwei Wochen miteinander. Mit meiner knapp fünfjährigen Tochter sind die Gespräche noch stark von Launen abhängig und sie ist meist kurz angebunden, aber Hauptsache, man hat wenigstens die Stimme mal wieder gehört. Das Gefühl des Auflegens ist aber keines, das man sich zu oft antun sollte. Am morgigen Mittwoch ist ihr Geburtstag, das wird ein ganz harter Tag für mich.
Fruntke: Wie geht es deinen Lieben daheim? Wie kommt deine Familie mit den Umständen, die Corona mit sich bringt, klar?
Hausen: Soweit mir berichtet wird, geht es allen den Umständen entsprechend gut. Das gibt einem ein beruhigendes Gefühl. Ich weiß allerdings auch, dass meine Frau und meine Großeltern so gestrickt sind, mir im Fall der Fälle nicht alles zu erzählen, um mich nicht zu belasten. Es tut weh - gerade in Zeiten geschlossener Kitas - hier festzusitzen und daheim nicht unterstützen zu können.
Fruntke: Was erwartet dich, wenn du nach Hause kommst? Auf was freust du dich am meisten?
Hausen: An erster Stelle freue ich mich ganz klar auf meine Familie, aber auch viele Freunde nach der langen Zeit endlich wiederzusehen! Ich vermute, es wird im ersten Moment schwierig sein, sich wieder im Alltag zurechtzufinden - gerade unter den besonderen Umständen in Zeiten von Corona. Aus meiner persönlichen Erfahrung heraus dauert es unter normalen Umständen schon immer ein bis drei Tage, bis ich die gewonnenen Eindrücke so langsam hinter mir lassen kann. Jeder möchte ja im ersten Moment möglichst viel von dem erzählen, was er in der Zwischenzeit erlebt hat. Was bis zu unserer finalen Rückkehr allerdings noch alles passieren mag, kann niemand vorhersehen.
Fruntke: Herzlichen Dank für das Interview!
Die Belastung aller an Bord ist gerade in der aktuellen Lage extrem, nicht nur physisch durch den deutlich längeren Aufenthalt und den täglichen Dienst ohne Pause, sondern auch mental. Die Teilnehmer der MOSAiC-Expedition verdienen größten Respekt! Wir wünschen euch weiterhin gutes Durchhaltevermögen und für euch und eure Familien beste Gesundheit! Alles Gute und hoffentlich bis bald!
Dipl.-Met. Julia Fruntke
Deutscher Wetterdienst