Lawinenkunde Teil 4 Lockerschneelawine
Für Wintersportler ist die Lockerschneelawine generell weniger gefährlich als die Schneebrettlawine. Welche typischen Schneesituationen braucht die Lockerschneelawine? Was kennzeichnet ihren Anbruchmechanismus? Diesen Fragen gehen wir im heutigen Thema des Tages nach.
In den Themen des Tages vom 14.01., 21.01. und 22.01.2020 wurden bereits generelle Gefahren bei Lawinen, die Prozesse der Schneeumwandlung innerhalb der Schneedecke sowie die Lawinenart der Schneebrettlawinen genauer beleuchtet. Im heutigen Thema soll sich alles rund um die Lockerschneelawine drehen.
Markante Kennzeichen von Lockerschneelawinen sind ein punktförmiger Anriss und eine birnenförmige oder kegelförmige Sturzbahn (siehe Bild). Lockerschneelawinen fordern im Vergleich zu Schneebrettlawinen weniger als 10 % der Lawinenopfer. Bei Lockerschneelawinen kommt Schnee, oft spontan selbst oder durch Ski- und Snowboardfahrer ausgelöst, in Bewegung und reißt beim Abgleiten immer mehr Schnee mit. Der typische "Schneeballeffekt", durch den die Lawine beim Abgleiten immer größer wird. Die Hauptgefahr besteht darin, dass man aus dem Gleichgewicht gebracht und mitgerissen wird oder von einem Felsen abrutschen kann. Eine Verschüttung des auslösenden Wintersportlers findet normalerweise nicht statt, weil die Lawine unter ihm abgeht und die Schneemassen nicht so mächtig sind. Gefährlich wird es nur für andere Personen, die sich in der hangabwärts gerichteten Fließbahn der ausgelösten Lawine aufhalten.
Eine Lockerschneelawine ähnelt dem "sluff" (sluff: eine kleine lose Schneelawine). Sluff ist der Schnee, den der Ski- oder Snowboardfahrer selbst losfährt, wenn man in steilen Hängen im Gelände unterwegs ist. Der Pulverschnee rollt nach unten und nimmt immer mehr Schnee mit. Sluff ist nicht per Definition gefährlich, aber er kann genauso wie eine Lockerschneelawine stark genug sein, um jemanden aus dem Gleichgewicht geraten zu lassen. Kommt man in eine Lockerschneelawine oder in seinen eigenen Sluff, empfiehlt es sich seitlich aus dem Gefahrenbereich wegzufahren.
"Trockene" Lockerschneelawinen treten vor allem dann auf, wenn sich nach Neuschneefällen der frisch gefallene Schnee an der Oberfläche noch nicht verfestigt hat. Dem frischen Pulverschnee fehlen dabei ausreichende Bindungen zur darunterliegenden Altschneedecke. Unter diesen Umständen kann alleine die Hangabtriebskraft in ausreichend steilem Gelände zur Auslösung führen. Damit die Energie, die bei einer Lockerschneelawine benötigt wird, auch aufkommen kann, benötigt diese Art einen steileren Hang als die Schneebrettlawine. Meist treten Lockerschneelawinen bei Hangneigungen zwischen 40 und 60 Grad auf.
"Nasse" Lockerschneelawinen entstehen hingegen bei Durchfeuchtung der obersten ungebundenen Schneeschicht. Die Durchfeuchtung kann durch Tauwetter mit plötzlich erhöhter Erwärmung oder längere Sonneneinstrahlung hervorgerufen werden. Bei letzterem sind vor allem südseitige Hangexpositionen sowie mit Felsen durchbrochene Schneedeckenbereiche begünstigt. Die dunkleren Felsen absorbieren das einfallende Sonnenlicht und geben die aufgenommene Wärmeenergie an die umgebenden Schneedeckenbereiche ab. Nasse Lockerschneelawinen können auch schon bei weniger als 40 Grad Neigung losbrechen, verhältnismäßig groß werden und erreichen schnell viel Kraft. Wenn die komplette Schneedecke durchfeuchtet ist, können sie auch bis zum Grund abgehen, und das sogar auf Hängen unter 30 Grad Neigung.
Mit Tief LOLITA gibt es an den Alpen heute eine frische Packung Neuschnee. In den Bayerischen Alpen fallen oberhalb von rund 1000 m bis zum Mittwoch 10 bis 25 cm, in Staulagen des Allgäus auch bis 40 cm Neuschnee. Bei Sturm- bis Schweren Sturmböen, exponiert auch orkanartigen Böen wachsen im Tagesverlauf vor allem teils leicht auslösbare Triebschneeansammlungen. In höheren Lagen kann der Neuschnee an felsdurchsetzten Steilhängen auch in Form mittelgroßer Lockerschneelawinen abgehen. Der Bayerische Lawinenwarndienst hebt daher heute die Gefahrenstufe oberhalb der Waldgrenze von mäßig auf erheblich, darunter von gering auf mäßig an.
M.Sc. Sebastian Altnau
Deutscher Wetterdienst