Lichtblicke in arktischer Finsternis
Seit Ende September ist das Forschungsschiff Polarstern in der Arktis unterwegs. Die Wettervorhersagen vor Ort werden von den Meteorologen und Wetterfunktechnikern des Deutschen Wetterdienstes erbracht. Lesen Sie heute im Thema des Tages, wie schwierig es ist, in der Arktis in völliger Dunkelheit Prognosen zu erstellen.
Festgefroren an einer Eisscholle driftet der Eisbrecher Polarstern durch die Arktis (siehe Themen des Tages vom 21.09.2019 und die dreiteilige Serie ab dem 17.12.2019). In der Bordwetterwarte sitzen Meteorologen und Wetterfunktechniker, die die MOSAiC-Expedition unterstützen. Sie sorgen dafür, dass der Kapitän, die Piloten und die Wissenschaftler zu jeder Zeit eine möglichst präzise Wettervorhersage erhalten. Jeden Abend wird eine kleine Wetterpräsentation vorgetragen, in der die Aussichten für die kommenden drei Tage erläutert werden. Die Wissenschaftler und die Mannschaft interessieren sich hierbei vor allem für die Temperatur und gleichfalls für den Windchill. Wer sich längere Zeit im Freien aufhalten muss, ist vor Auskühlung und gar Erfrierungen nicht gefeit (bspw. die Eisbärenwachen). Daher ist es umso wichtiger, schon vorab zu wissen, wie niedrig die Temperatur sein wird und wie hoch die Gefahr von Erfrierungen ist, wenn einem der eisige Wind sprichwörtlich um die Ohren weht! Noch wichtiger für alle, die auf dem Eis ihre Arbeiten ausführen, ist die Sichtweite. Ob es 3 oder 30 Kilometer sind, ist unerheblich. Im Scheinwerferlicht kann niemand weiter als etwa 1000 Meter sehen. So müssen die Meteorologen eine möglichst gute Vorhersage für Sichten unter 1000 Meter treffen. Beträgt die Sichtweite weniger als 500 Meter ist bspw. ein rechtzeitiges Sichten von Eisbären äußerst schwierig! Sagen die Meteorologen solch schlechte Sichtweiten vorher, werden in der Regel für den nächsten Tag keine Außenarbeiten eingeplant.
Diese präzisen Prognosen der Sichtweite stellen an einem Ort, an dem es außer auf der Polarstern keine Sichtweitemessgeräte in der weiteren Umgebung gibt, eine ausgesprochen große Herausforderung dar. Zudem sind die Vorhersagemodelle für diese Grenzschichtproblematik im Großen und Ganzen unbrauchbar. Dem Bordmeteorologen bleibt mitunter nur die eigene Erfahrung aus den vergangenen Tagen und Wochen, um verlässliche Prognosen der Sichtweite für die nächsten 24 Stunden zu erstellen. Aufgrund des geringen Wassergehalts in der arktischen Kaltluft ist Nebel zwar eher selten, allerdings ist die Eisscholle, an der die Polarstern festgemacht hat, dünner als noch vor dem Eintreffen vor Ort vermutet. So gibt es häufig Risse und dann bildet sich bei niedrigen Lufttemperaturen über dem offenen Wasser schnell Seerauch, der sich durchaus zu Nebel verdichten kann. Mit etwas Wind breitet sich dieser aus und in kurzer Zeit liegen Teile der Expeditionsfelder im dichten Nebel. Die Vorhersage solcher Ereignisse ist natürlich nicht möglich, wodurch die ständige Beobachtung des Eises und Kontrolle der Lufttemperatur von großer Bedeutung ist!
Hohe Niederschlagsmengen gibt es in der trockenen Luft in der Arktis auch nicht so häufig. Jedoch reichen schon geringe Mengen aus, um die Sichtweite herabzusetzen. Kommt dann aufgrund des Windes noch Schneetreiben hinzu, können sich die Sichtverhältnisse rasch verschlechtern. All diese Umstände muss der Meteorologe bei seiner Vorhersage beachten.
Obwohl in dieser Jahreszeit Finsternis in der Arktis herrscht und die Fliegerei dadurch erheblich erschwert wird, können einige Forschungsvorhaben ohne Hubschraubereinsätze nicht durchgeführt werden. Es gibt Außenstationen, zu denen die Helikopter alle paar Tage fliegen müssen, damit die Batterien der Landebeleuchtung gewechselt werden können. Denn in absoluter Dunkelheit würden die Außenstationen sonst nicht bedient werden können. Aber auch in der unmittelbaren Umgebung der Polarstern werden die Helikopter eingesetzt. Aus meteorologischer Sicht sind für die Fliegerei Informationen über Wolken, Wind, Wetter, Sicht, Temperatur, Vereisung und Turbulenz unabdinglich. Besonders wichtig sind aufgrund der 24-stündigen Nacht und der dadurch ohnehin schon schlechten Sicht die Wolkenuntergrenzen und Sichtweiten. Sagen die Meteorologen eine Wolkenbasis von unter 1500 Fuß (etwa 450 Meter) und eine anhaltende Sichtweite von weniger als 5000 Meter vorher, darf kein Helikopter abheben. Ebenso wichtig sind Vereisung, gefrierende Niederschläge und Turbulenzen. Wie bereits erwähnt, ist der Wassergehalt der arktischen Kaltluft meist sehr gering. So kommt überwiegend nur leichte Vereisung vor. In den Wolken, wo Vereisung eher ein Problem darstellt, darf so oder so nicht geflogen werden. Mäßige, teils auch starke Vereisungsgefahr besteht jedoch vor allem in den Bereichen mit offenem Wasser, wenn sich Seerauch bilden kann, in dessen Umgebung der Theorie nach sogar Turbulenzen auftreten können. Aufgrund der Finsternis sind diese Bereiche für die Piloten schwer auszumachen. Es ist also höchste Vorsicht und Erfahrung geboten.
Ähnlich der Bestimmung der Sichtweite, stoßen Wettermodelle bei der Prognose der Wolkenbasis in diesen Größenordnungen an ihre Grenzen. Die Meteorologen nehmen das bordeigene Ceilometer zur Hilfe, das an Ort und Stelle mit einem Laser die Untergrenzen der Wolken misst. Auch werden die Satellitenbilder interpretiert, die von den polarumlaufenden Satelliten empfangen werden. Zudem ist der Radiosondenaufstieg, der mehrmals am Tag durchgeführt wird, unerlässlich. Ohne diesen wären Vorhersagen kaum möglich. Das größte Hindernis bei der Wettervorhersage während der MOSAiC-Mission ist und bleibt aber die Finsternis. Wetterbeobachtung ist so gut wie unmöglich, wenn nur bei Vollmond der Horizont erahnt und sonst aufgrund des gleißenden Scheinwerferlichts, das die Messfelder erleuchtet, selbst kaum Sterne am Himmel entdeckt werden können.
Die Meteorologen und Wetterfunktechniker unterstützen sich gegenseitig. Sie leisten - wie alle Teilnehmer der MOSAiC-Expedition - großartige Arbeit und verdienen größten Respekt. Wir Zuhausegebliebenen hoffen, dass alle gut ins neue Jahr gekommen sind und wünschen ihnen ein frohes und gesundes neues Jahr. Auf dass die MOSAiC-Mission weiterhin erfolgreich verläuft! Viele Grüße an unsere Kolleginnen und Kollegen vor Ort!
Vielen Dank an unseren Kollegen Jens Kieser, der uns die Informationen über die Arbeit an Bord der Polarstern hat zukommen lassen!
Dipl.-Met. Julia Fruntke
Deutscher Wetterdienst