Die ungewöhnliche Entstehungsgeschichte des Tropensturms BARRY
Es ist landläufig bekannt, dass sich Tropenstürme bevorzugt über dem warmen Ozean entwickeln. Das heutige Thema des Tages beschäftigt sich mit der Entstehung des Tropensturms BARRY, die über Land und somit weit ab vom warmen Meereswasser begann.
Im Verlauf der vergangenen Woche bildete sich über dem Golf von Mexiko der erste Hurrikan der Saison 2019 mit dem Namen BARRY und wies somit eng begrenzt mittlere Windgeschwindigkeiten von rund 120 km/h auf. Dass die Intensivierung nicht noch heftiger ausfiel, war beständiger Windscherung (Windzunahme mit der Höhe) und einer trockenen Luftmasse in seiner Umgebung zu verdanken. Daher wird dieser Sturm mit Sicherheit nicht wegen seiner Windgeschwindigkeiten in die Geschichtsbücher eingehen. Bedeutender war, dass BARRY nur sehr langsam an Land zog und somit verbreitet teils erhebliche Niederschlagsmengen von mehr als 200 l/qm brachte. Strichweise wurden in Louisiana innerhalb von ein bis zwei Tagen mehr als 500 l/qm, in Arkansas mehr als 400 l/qm Regen gemessen. Zudem fielen diese Regenmassen in einer Region, die nicht nur rund 40 bis 60 % zu hohe Bodenfeuchtewerte im Vergleich zur langjährigen Klimatologie aufwies (Quelle: Climate Prediction Center), sondern auch bereits vor dem Eintreffen von BARRY mit Hochwasser zu kämpfen hatte. Daher verwundert es nicht, dass die Überschwemmungen regional signifikant ausfielen, allerdings weit unter den Ausmaßen von Hurrikan KATRINA aus dem Jahr 2005. Doch was macht BARRY noch interessanter?
Kurz zur Erinnerung: Die Entwicklung tropischer Stürme setzt im Allgemeinen warme Wasseroberflächen sowie eine warme und feuchte und somit potentiell labil geschichtete Troposphäre voraus. Der Wind sollte mit der Höhe nicht zunehmen, was in der Meteorologie unter dem Begriff "schwacher Windscherung" bekannt ist. Konvektion kann sich nun, stark vereinfacht gesagt, ungestört bilden und sich allmählich zu einem Tropensturm entwickeln.
Die Entstehungsgeschichte von BARRY war eine atypische, wenn auch nicht ungehörte. Normalerweise richten die nordamerikanischen Meteorologen ihre Blicke gen Osten, wenn es um die Tropensturmvorhersage für die Bereiche der südlichen und östlichen USA geht. Im Thema des Tages vom 20. Juni 2019 wurde ein möglicher Prozess erklärt, wie sich Tropenstürme aus sogenannten "African easterly waves" entwickeln können. Es gibt noch weitere Entwicklungsmöglichkeiten, die sich jedoch allesamt über den warmen tropischen und subtropischen Gewässern abspielen. Bei BARRY begann jedoch alles über den weiten Landmassen der nordamerikanischen Great Plains und somit weit abseits des warmen Wassers.
In der beigefügten Grafik ist im ersten Bild links oben ein umfangreicher Gewittercluster über Kansas und Missouri zu erkennen. In diesem langlebigen Cluster wurde durch die rege Gewitteraktivität viel latente Wärme (siehe Link zum DWD-Lexikon) in der mittleren Troposphäre freigesetzt. Die latente Wärme, ein nicht so greifbarer Begriff, kann man sich bildlich so vorstellen: Die Sonne lässt im Tagesverlauf durch ihren Energieinput (Wärmezufuhr) Wasser verdunsten und aufsteigen. Mit der Höhe nimmt die Temperatur ab und der Wasserdampf beginnt zu kleinen (Wolken-)Tröpfchen zu kondensieren, wobei die gespeicherte Energie wieder freigesetzt wird (=latente Wärme). Beim Blick auf das Satellitenbild kann man sich vorstellen, dass hier innerhalb des Gewitterclusters gewaltige Energiemengen freigesetzt wurden, die sich nun in der mittleren Troposphäre sammelten. Da warme Luft leichter ist als kalte, beginnt der Luftdruck in der Höhe zu fallen und es entwickelt sich ein sogenannter "mesoskalig konvektiver Wirbel", im Englischen "Mesoscale convective vortex, (MCV)". Dieser, besonders in der Höhe (mittlere Troposphäre) kräftig ausgebildete Wirbel, driftet in der Folge mit den Höhenwinden dahin, wobei solche Systeme über Tage hinweg überleben und dabei immer wieder neue Gewitter auslösen können.
Ein kräftiges Hochdruckgebiet über dem Westen der USA lenkte das System in der Folge Richtung Tennessee (a). In b) ist der Wirbel bereits über dem Bundesstaat Georgia zu finden. Zu diesem Zeitpunkt lässt sich etwas Interessantes im Satellitenbild erkennen: Auch die weniger hochreichenden Wolkenfelder konnten sich zu einem Wirbel organisieren. Dies ist ein Anzeichen, dass sich die Rotation aus der Höhe teils auch bis in tiefe Lagen durchsetzt, was auf ein sich verstärkendes System hindeutet.
Allerdings nahm der Wirbel erst so richtig Fahrt auf, als er über das durchschnittlich 1 bis 2 Grad zu warme Wasser des Golfs von Mexiko zog, wo sich erneut heftige und langlebige Gewitter ausbilden konnten, die sich letztendlich zum Tropensturm BARRY organisierten und der schließlich in Louisiana an Land ging.
Wie in diesem Fall ersichtlich läuft die Entwicklung von Tropenstürmen teils sehr komplex ab. Ohne feinmaschige Wettermodelle und hochaufgelöste (zeitlich wie räumlich) Wettersatelliten ist manch einer dieser Stürme früher wie aus dem Nichts entstanden und überraschte die Menschen entlang der Küsten häufig mit verheerenden Folgen.
Dipl.-Met. Helge Tuschy
Deutscher Wetterdienst