Ein Gruß aus der Arktis
Aktuell vollzieht sich über dem Bundesgebiet ein durchaus markanter Luftmassenwechsel. Zwischen einem Hoch mit Schwerpunkt nördlich von Schottland und tiefem Luftdruck über den nordosteuropäischen Ländern strömt kalte Meeresluft heran. Diese konnte sich während der Nacht zum Samstag schon über weite Teile Norddeutschlands ausbreiten, wohingegen im Süden des Landes noch etwas wärmere Luft lagert. Diese beiden unterschiedlichen Luftmassen trennt eine markante Kaltfront, die sich am Samstagvormittag quer über der Mitte Deutschlands befindet. Im Bereich der Kaltfront resultieren zudem teils kräftige Niederschläge, die sich in den Vormittagsstunden in einem breiten Streifen vom Saarland bis nach Sachsen erstrecken. Während es in den tiefsten Lagen überwiegend bei Regen bleibt, ist in den zentralen Mittelgebirgen hingegen nochmals der Winter eingekehrt. Viele Wetterstationen oberhalb von 300 m meldeten Samstagfrüh leichten bis mäßigen Schneefall oder zumindest Schneeregen.
Im Laufe des heutigen Samstags verlagert sich die erwähnte Kaltfront nun langsam in den Süden Deutschlands, am Abend wird die Schneefallgrenze schlussendlich auch an den Alpen zu sinken beginnen. Am direkten Alpenrand ist während der Nacht längerer und teils kräftiger Schneefall wahrscheinlich, wobei die Schneefallgrenze zunehmend die Täler erreichen wird. Der Norden Deutschlands befindet sich dagegen nicht mehr im unmittelbaren Einflussbereich der Kaltfront, dafür ist dort der heutige Tag durch Kaltluftschauer geprägt, die mit Graupel und kurzen Gewittern einhergehen können.
Bei solchen Wetterlagen ist es besonders interessant, den Ursprungsort der einströmenden Luftmasse zu bestimmen. Daher gibt es unter anderem in der Meteorologie das wertvolle Instrument der sogenannten "Trajektorien". Als Trajektorie wird eine Bahn bezeichnet, die ein einzeln betrachtetes Luftpartikel in einem gewissen Zeitraum durchläuft. Unterschieden wird bei den Trajektorien zudem zwischen einer "Vorwärts-" und einer "Rückwärtstrajektorie". Bei der Vorwärtstrajektorie wird zum gewünschten Startzeitpunkt der Berechnung ein fiktives Luftteilchen an einem definierten Ort in die Modellatmosphäre eingebracht. Dieses verlagert sich anschließend in Abhängigkeit von den modellierten Strömungsverhältnissen. Zur Anwendung kommt ein solches Verfahren vor allem bei Ausbreitungsrechnungen von Luftverschmutzungen oder gesundheitsgefährdenden Stoffen. Auch bei Vulkanausbrüchen sind zur Beurteilung der Aschewolke solche Berechnungen sehr wertvoll.
Bei Rückwärtstrajektorien ist dagegen nicht die Zukunft, sondern die Historie der Luftmasse von Interesse. Ziel ist es herauszufinden, von welchem Ort ein an einem bestimmten Punkt "gefundenes" Luftteilchen gestartet ist. Besonders hilfreich ist dieses Verfahren, wenn die Quelle eines in der Luft detektierten Schadstoffs nicht bekannt ist. Mit der Rückwärtstrajektorie kann in vielen Fällen der Emissionsort des Schadstoffs zumindest eingegrenzt werden.
Solche Rückwärtstrajektorien lassen sich aber auch bei der täglichen Wetteranalyse gut verwenden. Die in den heutigen Frühstunden berechneten Trajektorien für das Meteorologische Observatorium Lindenberg bei Berlin zeigen, dass die nun zunehmend wetterbestimmende Luftmasse aus den Polargebieten der Nordhalbkugel stammt. Ein fiktives Luftteilchen hätte sich von dort vor einigen Tagen auf den Weg gemacht und die Grönlandsee westlich von Spitzbergen überquert. Auch die Nordsee hätte sich auf seinem Pfad befunden um schließlich in Berlin anzukommen. Über der Nordsee wurde die Luft zwar etwas erwärmt, trotzdem ist der Charakter der Luftmasse weiterhin polar geprägt. Es ist also keine Überraschung, wenn in den zentralen Mittelgebirgen Schnee fällt.
Das zweite Meteorologische Observatorium des Deutschen Wetterdienstes, Hohenpeißenberg am Alpenrand, befindet sich dagegen am Samstagvormittag noch in der etwas wärmeren Luftmasse. Dies bestätigen auch die Rückwärtstrajektorien, denn der Ursprung der dortigen Luftmasse befindet sich in den mittleren Breiten des Nordatlantiks. Am Abend erreicht die Polarluft schlussendlich aber auch die Alpen.
Mag.rer.nat. Florian Bilgeri
Deutscher Wetterdienst