Endlich Regen nur leider recht ungerecht
Nachdem noch vor wenigen Tagen hier in unserer Rubrik die Trockenheit im April in weiten Teilen Deutschlands untersucht und auf die mit ihr verbundenen Probleme hingewiesen wurde (https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2019/4/24.html), hat es inzwischen - glücklicherweise - deutschlandweit geregnet.
Allein: Mit der Gerechtigkeit hat es der Regen aber nicht so genau genommen, bisweilen ging es sogar richtig ungerecht zu. In der zugehörigen Abbildung (https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2019/4/28.html) sind die Niederschlagssummen vom vergangenen Freitag (links) und vom gestrigen Samstag (rechts) dargestellt. Dabei ist zu erkennen, dass es in manchen Ecken "ordentlich zur Sache" ging, während es in anderen bei nur wenigen Tropfen blieb. Beispielhaft seien hier die Orte Tribsees und Krakow am See genannt (beide in Mecklenburg-Vorpommern). Während in Krakow am See am Freitag nur 0,5 l/qm fielen, lieferte die Messung in Tribsees, nur etwa 60 km weiter nordnordöstlich gelegen, 20 l/qm.
Auffällig ist in der Karte insbesondere das streifenförmige Muster, das der Niederschlag am Freitag in der Osthälfte Deutschlands zeigt. Wie kommt es zu diesem Streifenmuster? Und warum laufen die Streifen von Süd nach Nord, wenn doch die zugehörige Front am Freitag von West nach Ost über Deutschland hinweggezogen ist?
Der entscheidende Begriff in diesem Zusammenhang ist der der Windscherung. Er bedeutet, dass der Wind sich ändert, wenn man sich im dreidimensionalen Raum (der Atmosphäre) von einer Stelle zu einer anderen bewegt. Da die beiden charakteristischen Größen des Windes einerseits seine Geschwindigkeit (die Windstärke) und andererseits seine Richtung sind, unterscheidet man konsequenter Weise zwischen der Geschwindigkeitsscherung und der Richtungsscherung. Und da man sich in einem dreidimensionalen Raum horizontal oder vertikal bewegen kann, wird zusätzlich noch zwischen horizontaler und vertikaler Scherung unterschieden.
So, das war's schon mit der Theorie. Zwei Beispiele soll diese noch etwas greifbarer machen. Wenn in Hamburg der Wind aus Norden weht, in Bremen bei gleicher Stärke aber aus Westen, dann haben wir es zwischen Hamburg und Bremen mit einer horizontalen Richtungsscherung zu tun. Und wenn der Wind in Berlin am Reichstag mit 5 km/h weht, auf der Spitze des Funkturms aber mit 10 km/h, dann handelt es sich um eine vertikale Geschwindigkeitsscherung.
Und die Streifenmuster der Niederschlagsintensität am Freitag? Für diese war eine vertikale Richtungsscherung verantwortlich. Am Boden bewegte sich die Luft allmählich von West nach Ost, in höheren Luftschichten aber von Süd nach Nord. Kräftige Schauer und Gewitter, die es bis zu einer gewissen Größe "geschafft" hatten, wurden von der Höhenströmung "eingefangen" und dann nach Norden geschoben.
Dass die Scherung nicht immer so stark ausgeprägt ist wie am Freitag zeigt ein Blick auf die Niederschlagssituation am Samstag. An beiden Tagen kam der bodennahe Wind aus West, während aber die Niederschlagsstreifen am Freitag der Höhenströmung folgend meist von Süd nach Nord verlaufen, erstrecken sie sich am Samstag entweder parallel zur Bodenströmung (Westen) oder von Südwest nach Nordost (im Süden).
Letztendlich bestätigen die Streifenmuster auch unsere Erfahrung, dass es bei Schauern und Gewittern auf relativ kleinem Raum zu sehr großen Unterschieden in der Niederschlagsintensität kommen kann. Für alle, die sehnsüchtig auf Regen warten und bisher nur wenig abbekommen haben, ist dies aber - wenn überhaupt - nur ein schwacher Trost.
Dipl.-Met. Martin Jonas
Deutscher Wetterdienst