Hitzewelle in der Stratosphäre Das Berliner Phänomen
Als Stratosphäre bezeichnen wir Meteorologen den Teil der Atmosphäre etwa zwischen 10 und 50 km Höhe. Im Vergleich zur unter ihr liegenden Troposphäre, wo sich das Wetter im Wesentlichen abspielt, nimmt die Temperatur im Mittel mit der Höhe zu. Während am unteren Ende der Stratosphäre (an der sog. Tropopause) durchschnittlich gerade mal -50 Grad herrschen, werden in ihren oberen Bereichen Temperaturwerte von nur knapp unter 0 Grad erreicht. Verantwortlich dafür ist vor allem das in Teilen der Stratosphäre reichlich vorhandene Ozon, welches bestimmte Bestandteile des Sonnenlichts (nämlich das UV-Licht) aufnimmt und in Wärme umwandelt.
Im Winter kühlt sich die Stratosphäre aufgrund der maximal nur sehr flach einfallenden Sonnenstrahlung dann aber stetig ab. In etwa 20 km Höhe beträgt die durchschnittliche Temperatur dann nur noch rund -70 Grad Celsius. Infolgedessen bildet sich ein Polarwirbel aus, sozusagen ein "kaltes Tiefdruckgebiet", an dessen Südflanken starke Westwinde auftreten.
In den 1950er Jahren entdeckte Richard Scherhag bei der Auswertung von Wetterballondaten, dass sich die winterliche Stratosphäre in unregelmäßigen Abständen, im Mittel alle 2 Jahre, in kurzer Zeit plötzlich sehr stark um zum Teil mehr als 50 Grad erwärmt. Da der Stratosphärenwissenschaftler Scherhag an der Freien Universität Berlin forschte, wird diese Erwärmung auch als "Berliner Phänomen" bezeichnet.
Die Ursache für diese "winterlichen Hitzewellen" in der Stratosphäre sind komplizierte und auch noch nicht vollends verstandene physikalische Prozesse und Wechselwirkungen mit der Troposphäre. Vereinfacht ausgedrückt wird bei bestimmten Wetterlagen Energie in Form von Wellenbewegungen der Luft aus der Troposphäre nach oben in die Stratosphäre transportiert. Dort beginnen sie sich die Wellen in etwa 30 km Höhe aufzulösen und setzen dabei ihre Wellenenergie frei. Diese wird in Wärmeenergie umgewandelt, sodass es zu einer raschen Erwärmung kommt. Diese Erwärmung beginnt zunächst in etwa 30 km Höhe. Ist diese kräftig genug, "wandert" sie bis in eine Höhe von 15 km hinunter.
Bei besonders starker Ausprägung der Erwärmung kommt es zu Veränderungen in der Druck- und Strömungsverteilung in der polaren Stratosphäre, bis hin zu einem Zusammenbrechen des Polarwirbels. Dabei können die Winde an dessen Südflanke vorübergehend von westlichen auf östliche Richtungen drehen.
Diese Veränderungen in der Stratosphäre wirken sich wiederum auf die Troposphäre aus. Zwar sind die genauen Wechselwirkungen noch nicht zufriedenstellend erforscht, jedoch zeigen die vieljährigen Beobachtungen, dass eine stratosphärische Erwärmung mit gewisser Verzögerung auch eine Umstellung der Wetterlage begünstigen kann. In vielen Fällen schwächt sich das Starkwindband (der Jet-Stream) in den oberen Bereichen der Troposphäre ab und neigt zu stärkeren und somit weiter nach Norden und Süden ausgreifenden Wellenbewegungen. Dieses starke Mäandrieren des Jet-Streams bedeutet letztendlich eine Umstellung von einer zonal (entlang der Breitengrade) orientierten hin zu einer eher meridional (entlang der Längengrade) orientierten Zirkulation. Die normalerweise vorherrschende West-Ost-Zugbahn der Tiefdruckgebiete wird demnach unterbrochen, sodass sie mit Kaltluft aus polaren Breiten weit nach Süden ausscheren können. Diese Blockade-Wetterlagen sorgen im Winter häufig für längere kältere Phasen in Mitteleuropa.
Zu unterscheiden ist noch ein nur etwa alle zwei Jahre auftretendes "Major Warming" (sehr starke Stratosphärenerwärmung) und ein mehrfach in jedem Winter auftretendes "Minor Warming" (schwächere Stratosphärenerwärmung). Letzteres beeinflusst die Druck- und Strömungsverhältnisse in der Stratosphäre in deutlich geringerem Maße und führt demnach auch nicht direkt zu einer großräumigen Umstellung in der Troposphäre. Als "Final Warming" bezeichnet man die nachhaltige Erwärmung der Stratosphäre am Ende des Winters, zwischen März und Mai. Der Polarwirbel bricht unwiderruflich zusammen und entsteht erst wieder zu Beginn des nächsten Winters.
Dipl.-Met. Adrian Leyser
Deutscher Wetterdienst