Mythos ?Flüsse sind Wetterscheiden?
Hin und wieder erreichen uns Anfragen von aufmerksamen Beobachtern, die meinen, dass gerade große Flüsse wie zum Beispiel die Elbe oder der Rhein eine Wetterscheide darstellen. Häufig wird dabei scheinbar beobachtet, dass Gewitter ?Angst? vor dem Gewässer haben und den Fluss dann lieber nicht überqueren. Stattdessen würden sie sich auflösen oder ihre Zugbahn ändern.
Bei Gewittern unterscheidet man grundsätzlich zwischen Kaltluft- und Warmluftgewittern sowie Gewitterfronten. Bei den Gewitterfronten (auch bei Regenfronten) schieben sich riesige Massen kalter Luft wie ein Keil unter warme Luft. Dabei sind unfassbar große Mengen an Energie im Spiel, sodass sich Gewitterfronten keineswegs darum scheren, ob sich unter ihr ein Fluss durch die Landschaft schlängelt. Allenfalls große Gebirgszüge schaffen es diese Fronten zu beeinflussen, denn sie zwingen die Luftmassen auf der windzugewandten Seite (auch Luv genannt) aufzusteigen und dort ihren Wassergehalt abzuregnen. Auf der windabgewandten Seite, also im Lee des Gebirges, kann es dabei unter Umständen vollständig trocken bleiben.
Kaltluftgewitter entstehen, wenn sehr kalte Luft in großen Höhen (etwa 5 km oder höher) über vergleichsweise warmes Land oder auch über größere Seen oder das Meer ziehen. Dabei entstehen häufig kleinräumige (Graupel-)Schauer und kurze Gewitter. Wenn im Herbst und Winter in größeren Seen (Bsp.: Bodensee) oder Meeresbuchten (Bsp.: Elbmündung) noch verhältnismäßig warme Wassertemperaturen vorherrschen, kann es zum sogenannten "Lake-Effekt" kommen. Dabei wird die Luft durch ihren Weg über das warme Wasser zusätzlich erwärmt und angefeuchtet, wodurch sie mehr Auftrieb erfährt. Lokal eng begrenzt können dann große Mengen an Niederschlag fallen, auch in Verbindung mit kräftigen Gewittern. Im vergangenen Winter fielen dabei Ende Februar im Ostseeumfeld strichweise 25 cm Neuschnee in wenigen Stunden, Ende November des Jahres 2010 wurden in Ostholstein sogar bis zu 38 cm registriert, was für chaotische Straßenverhältnisse sorgte. Flüsse besitzen hingegen nur eine geringe Ausdehnung (sofern sie nicht gestaut werden), sodass es hier nicht für eine signifikante Erwärmung und Anfeuchtung der Luftmassen reicht. Deshalb ist - zumindest dem Autor - kein Beispiel für einen signifikanten Lake-Effekt durch einen Fluss bekannt. Ein Fluss stellt also auch bei Kaltluftgewittern keine Wetterscheide dar, die Schauer und Gewitter ziehen einfach darüber hinweg.
Im Sommer treten dagegen häufig Wärmegewitter auf. Dann heizt die Sonne den Erdboden je nach Beschaffenheit auf und dieser erwärmt wiederum die Luftmassen unmittelbar über dem Boden. Die aufgeheizte Luft steigt in der Folge rasch auf, da warme Luft eine geringe Dichte besitzt und somit leichter als kalte ist. Dabei nimmt die aufsteigende Luftmasse viel Feuchtigkeit mit in die Höhe, die dann in höher liegenden, kalten Luftschichten kondensiert. In der Folge bilden sich Quellwolken, die bei geeigneten atmosphärischen Bedingungen zu gewaltigen Gewitterwolken anwachsen können. Auch ein solches Gewitter würde vor einem Fluss nicht zurückschrecken, da auch hier gewaltige Mengen an Energie im Spiel sind. Wie viel Energie überhaupt in einer Quellwolke steckt, würde wohl den Rahmen des heutigen Artikels sprengen, soll aber am nächsten Dienstag an dieser Stelle ausführlich behandelt werden.
Der einzige denkbare Einfluss, den ein Fluss auf ein Gewitter haben könnte, liegt im Entstehungsort der Gewitter. Denn Wasser besitzt eine höhere Wärmekapazität als Land. Somit erwärmt sich der Erdboden, je nach Beschaffenheit, und die unmittelbar darüber liegenden Luftmassen schneller, was die Entstehung von Wärmegewittern begünstigt. Hat sich das Gewitter jedoch erst einmal ausgebildet, ist die daran beteiligte Energie so gewaltig, dass auch geringe Temperaturunterschiede zwischen Land und Fluss keinen Einfluss auf die Zugrichtung des Gewitters nehmen. Entsprechend kann man ruhigen Gewissens behaupten, dass Flüsse keine Wetterscheiden darstellen.
MSc.-Met. Sebastian Schappert
Deutscher Wetterdienst