Numerische Wettervorhersage Vereinfachtes Abbild der Atmosphäre und
der Erde
Unser abwechslungsreiches Wetter resultiert aus einer Vielzahl von physikalischen Vorgängen in der Atmosphäre. Diese sind so komplex, dass man sie selbst mit den größten Hochleistungsrechnern der Welt nicht exakt berechnen kann. Deshalb verwendet man sogenannte numerische Wettervorhersagemodelle. Dabei handelt es sich um Computerprogramme, die die physikalischen Abläufe vereinfacht beschreiben, um damit das zukünftige Wetter vorhersagen zu können.
Die entscheidende Vereinfachung ist, dass man den Zustand der Atmosphäre nicht an unendlich vielen Punkten rund um den Globus bestimmen kann. Daher werden die atmosphärischen Messgrößen wie Wind, Luftdruck, Temperatur oder Niederschlag auf einem Gitternetz berechnet. Je feiner die Maschenweite des Gitters ist, desto kleinräumigere atmosphärische Prozesse können mit dem Modell berücksichtigt werden und umso genauer wird letztendlich die Vorhersage. Ist das Gitter hingegen zu fein, würde dies den Rahmen an Rechenaufwand und Datenmenge sprengen (siehe Themen des Tages vom 10. Mai und 6. Juli 2018). Als bestmöglichen Kompromiss verwendet das globale ICON-Modell des Deutschen Wetterdienstes eine horizontale Maschenweite von etwa 13 km. Verglichen mit Modellen aus früheren Zeiten ist dies bereits ausgesprochen fein. Das Vorgängermodell GME besaß im Jahre 2004 noch eine Maschenweite von 60 km und wurde erst mit steigender Rechnerleistung mehrfach verfeinert.
Mit dem ICON-Modell können Hoch- und Tiefdruckgebiete sowie Niederschlagsgebiete an Wetterfronten relativ präzise vorhergesagt werden. Problematisch wird es jedoch bei kleinskaligen Phänomenen wie einzelnen Schauer- oder Gewitterzellen, die meist unterhalb der Größenordnung des Gitters liegen. Die komplizierten Prozesse innerhalb eines Gewitters sind somit viel zu kleinräumig und können vom Modell nicht direkt berücksichtigt werden.
Auch die Topografie ist für das lokale Wettergeschehen ein entscheidender Faktor. Nicht umsonst findet man Weinanbaugebiete zumeist an Berghängen, da diese sich tagsüber am stärksten aufheizen und nachts von Kaltluftseen entlang der Talsohle verschont bleiben. Allerdings sind die meisten Täler zu schmal, um vom ICON-Modell aufgelöst zu werden. Jede Modellgitterfläche erhält nämlich nur die mittlere Höhe innerhalb dieses Gebiets. Man kann sich die Erdoberfläche im Modell also so vorstellen, als hätte ein großes Bügeleisen alle Erhebungen und Vertiefungen glatt gebügelt, die eine Ausdehnung von weniger als 13 km haben. So können Berg-Talwind-Zirkulationen, die in Gebirgsregionen das Wettergeschehen nicht selten maßgeblich beeinflussen, ebenfalls nicht beschrieben werden.
All diese Effekte sind jedoch früher oder später sowohl für kleinräumige als auch für großräumige Strömungen von Bedeutung. Beispielsweise kann ein Gewitter das Wetter in der Umgebung deutlich beeinflussen. Man entwickelt deshalb Verfahren (in der Fachsprache Parametrisierungen genannt), die jene Prozesse, die zu kleinräumig für das Modell sind, zumindest als gemittelte Änderungen des atmosphärischen Zustands in einer Gitterfläche berücksichtigen. Jede derartige Vereinfachung führt dennoch zu einer gewissen Ungenauigkeit, die dafür mitverantwortlich ist, dass sich die Qualität einer Wetterprognose mit fortschreitender Vorhersagedauer verringert.
Möchte man nun genauer wissen, wie Gewitter oder lokale Windphänomene das Wetter in der gewünschten Region beeinflussen, benötigt man ein feineres Gitter, das nur einen kleinen Teil der Erde (z.B. Mitteleuropa) überdeckt. Der DWD verwendet dazu das Lokalmodell COSMO-D2 mit einer Maschenweite von etwa 2 km. Nun können Berg-Talwind-Zirkulationen in mittelgroßen Gebirgstälern aufgelöst und einzelne Gewitterzellen vereinfacht dargestellt werden. Einige der im ICON benötigten Vereinfachungen (d.h. Parametrisierungen) werden somit überflüssig. Aber auch dieses Modell stößt an seine Grenzen. Jeder hat schon einmal festgestellt, dass es an heißen Sommertagen über dunklen Asphaltflächen unerträglich heiß wird, während es wenige hundert Meter entfernt am Flussufer deutlich angenehmer ist. Dieser sehr kleinräumige Einfluss wird von COSMO-D2 nicht erfasst, ebenso wenig wie komplexe Windströmungen in engen Häuserschluchten in Städten oder am Waldrand, um nur zwei Beispiele zu nennen.
Selbst wenn in Zukunft die Modellgitter stets feiner werden, wird es immer Effekte geben, die "durch das Gitter fallen". Man denke nur an kleinste Turbulenzen, die beispielsweise den Rauch einer Zigarette verwirbeln. So wird eine Prognose über viele Tage in die Zukunft nie exakt sein. Sehen wir es aber positiv: Würde es keinerlei Überraschungen mehr geben, wäre Wetter ziemlich langweilig und keiner könnte mehr über die Meteorologen schimpfen!
Dipl.-Met. Dr. Markus Übel
Deutscher Wetterdienst