Der Platane platzt der Kragen
Es ist ein warmer, angenehmer Sommerabend. Ich spaziere einen kleinen Weg entlang, der durch einen der Offenbacher Stadtparks führt. Es bietet sich mir zunächst die übliche Geräuschkulisse, eine Komposition aus permanentem Rauschen der in Frankfurt startenden und landenden Flugzeuge und sporadischem Vogelgezwitscher. Doch plötzlich ist ein nicht allzu lautes, aber durchaus wahrnehmbares Knarzen zu hören. Ich richte den Blick nach oben und sehe ein Stück Borke nach unten segeln, das sich von einer der vielen den Wegesrand säumenden Platanen löste. Mir fällt auf, dass die braun-verbrannten Überbleibsel der ehemals grünen Wiesen links und rechts des Weges schon nahezu bedeckt sind von unzähligen, etwa handflächengroßen Borkenstücken. Es scheint fast so, als hätten sich alle ansässigen Platanen abgesprochen, sich von Teilen ihrer Borke zu entledigen.
Tatsächlich kann man dieses Phänomen in Deutschland aktuell an vielen Orten nahezu zeitgleich beobachten - und das in einer Ausprägung, wie sie in den vergangenen Jahren selten auftrat. Daher liegt der Verdacht nahe, dass es sich hierbei um eine Reaktion der Platane auf besondere meteorologische Begebenheiten handelt, z. B. auf die derzeit regional herrschende extreme Trockenheit.
Dass die Platane immer wieder Teile ihrer Borke abwirft, ist prinzipiell ein Vorgang, der sich losgelöst von sich stark verändernden äußeren Einflüssen regelmäßig vollzieht und eher ein Zeichen von Gesundheit ist. Zum einen vergrößert der Baum seinen Holzkörper Jahr für Jahr, er wächst in die Breite. Weil die Borke als äußerste Schicht und als bereits abgestorbenes Gewebe der Rinde nicht mitwächst bzw. sich nicht ausdehnen kann, gerät sie unter Spannung. Da die Platane keine Ringelborke hat, sondern Schuppen, reißt die Borke nicht, sie löst sich in Platten ab. Daher auch der charakteristische fleckige "Militärlook". Zum anderen kann auch ein zweiter Blattaustrieb im Sommer eine Vergrößerung des Stammumfanges und damit ein "Absprengen" der Borke zur Folge haben.
Die Platane als typischer "Stadtbaum" ist zwar widerstandsfähig, doch es ist davon auszugehen, dass auch sie wie viele andere Pflanzen von der in Teilen Deutschlands unvermindert anhaltenden Trockenheit "gestresst" ist. Man vermutet, dass der Baum als Reaktion auf Hitze und Wassermangel gerade am Tage versucht, Wasser aus den Tiefen des Bodens stärker "aufzusaugen". Dadurch verringert sich der Stammumfang vorübergehend, um nachts wieder auf "Normalgröße" anzuwachsen. Die Variation des Stammumfanges führt zu einem verstärkten Abblättern der Borke.
Ursache dafür ist der sog. "Sog-Effekt", der auf dem Gesetz von Bernoulli beruht. Durch unterschiedliche Strömungsgeschwindigkeiten des Wassers entstehen unterschiedliche statische und dynamische Drücke. Vereinfacht ausgedrückt: Fließt das Wasser schneller, ist der Druck nach außen kleiner. Durch den Unterdruck im Stamm resultiert eine Kraft, die den Stamm zusammenzudrücken versucht. Man kann sich das vorstellen wie bei einem erfrischenden Kaltgetränk, das wir an warmen Sommertagen genüsslich mit einem Strohhalm zu uns nehmen. Wenn wir das Getränk aufsaugen, werden unsere Wangen auch schmaler.
Wie vermutlich einigen Landwirten platzt also auch der Platane angesichts der teilweise extremen Witterung wortwörtlich der "Kragen" - und die Wetteraussichten werden weder Landwirten noch Platanen gefallen: Der ersehnte, länger anhaltende und verbreitet auftretende Landregen bleibt bis auf weiteres aus. Zwar regnet es im äußersten Osten und Nordosten in den nächsten 24 bis 48 Stunden teilweise etwas kräftiger, ansonsten bleibt es aber nur bei einzelnen Schauern und Gewittern, die ja bekanntlich bei weitem nicht jeden treffen.
Dipl.-Met. Adrian Leyser
Deutscher Wetterdienst