Die Viermastbark ?Pamir? wurde 1905 bei Blohm und Voss in Hamburg für die traditionsreiche Reederei Ferdinand Laeisz gebaut und gehörte zu einer Serie von insgesamt acht einander ähnelnden Schiffen, deren Namen alle mit ?P? anfingen. Diese auch ?Flying P-Liner? genannten Windjammer waren wegen ihrer soliden Bauweise für ihre Robustheit und Geschwindigkeit berühmt und dank fähiger Kapitäne und handverlesener Besatzungen (mit guter Bezahlung und Verpflegung!) im Liniendienst den Dampfschiffen beinahe ebenbürtig. Sie wurden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor allem bei Fahrten nach Australien und Südamerika für Massenschüttgüter wie Getreide und Salpeter eingesetzt. In den Fünfzigerjahren hatte sich bereits die Motorschifffahrt durchgesetzt, dennoch wurden die verbliebenen Schiffe ?Pamir? und ?Passat? von einer Stiftung deutscher Reedereien reaktiviert, um den Offiziersnachwuchs der Handelsmarine der jungen Bundesrepublik auszubilden und darüber hinaus durch Befrachtung Geld einzufahren. So wurde die insgesamt 114,5 m lange und mit 3102,87 BRT vermessene ?Pamir? ab 1955 wieder für Südamerikafahrten eingesetzt und transportierte Gerste von Buenos Aires nach Hamburg.
Bei der knapp 7000 Seemeilen (Einheitenzeichen [sm], 1 sm = 1,852 km) langen Reise von Hamburg (geographische Koordinaten: 53°33'N; 10°0'E) nach Buenos Aires (34°36'S; 58°23'W) durchquert man, ausgehend von den durch Tiefdruckgebiete geprägten, klimatisch gemäßigten mittleren Breiten der Nordhalbkugel, zunächst den subtropischen Hochdruckgürtel, dann die Tiefdruckrinne der inneren Tropen in Äquatornähe um schließlich in den Hochdruckgürtel der Südhalbkugel zu gelangen, dem sich die ebenso durch rege Tiefdrucktätigkeit gekennzeichnete, gemäßigte Klimazone der Südhalbkugel anschließt. Mit diesen weitgehend zonal um die Erde angeordneten Druckgebilden sind mehr oder weniger regelmäßige Windgürtel verbunden, die es gerade bei Segelreisen auf den Weltmeeren zu beachten gilt. So sind die geplanten ozeanischen Routen, in Abhängigkeit von den zu erwartenden Windbedingungen und Meeresströmungen, stets den Segeleigenschaften des jeweiligen Schiffes anzupassen. Man nennt diese Art der Routenplanung ?Klimanavigation?, sie war für die historischen Segelschiffe essentiell und ist auch heutzutage für die modernen High-Tech-Segelyachten gutbetuchter Weltenbummler ein wichtiger Teil der Reisevorbereitung.
Auf ihrer sechsten Reise unter Eignerschaft der Stiftung verließ die Viermastbark ?Pamir? am Nachmittag des 11. August 1957 Buenos Aires zur Rückfahrt nach Hamburg mit einer Ladung Gerste. Eine Viermastbark ist hauptsächlich mit Rahsegeln bestückt, mit einer solchen Takelung segelt es sich ?hart am Wind? eher schlecht, d.h. man kann beim ?Kreuzen? gegen den Wind auf Zick-Zack-Kursen nur wenig Raum gewinnen und macht große Umwege und entsprechende Zeitverluste. Auf Rahseglern fährt man am besten mit dem Wind im Rücken oder von der Seite, d.h. seemännisch gesprochen auf ?Vor- oder Halbwindkursen?. Unter günstigen Umständen, d.h. unter ?Vollzeug? mit 32 Segeln und 3600 m² Segelfläche bei entsprechend kräftigem und stetigem Wind konnte man dann mit der ?Pamir? Geschwindigkeiten bis zu 16 Knoten (ca. 30 km/h) erreichen und damit zu den Höchstgeschwindigkeiten der Motorschiffe aufschließen. Wie aus Gründen der Klimanavigation für Windjammer üblich, erfolgte die Heimreise der ?Pamir? auf einem S-förmigen Kurs durch den Atlantischen Ozean.
Dieser ?ideale? S-förmige Kurs ergibt sich aus den im klimatologischen Mittel auf der Erde anzutreffenden ?Windgürteln?: Im Winter der Südhalbkugel (Juni, Juli, August) liegt der Ausgangshafen Buenos Aires im Bereich der südhemisphärischen Westwinddrift, d.h. nach Verlassen der La-Plata-Mündung kann man mit Rückenwind ostnordostwärts weit hinaus auf den Südatlantik segeln um in den Wirkungsbereich der Südostpassats zu gelangen, der das Schiff dann mit Halbwindkursen oder Rückenwind beständig und bequem nordwärts in den windschwachen Bereich des Äquators trägt. Damit hat man den unteren Ast der S-Kurve absolviert. Nach Überwinden der äquatorialen Zone mit bestenfalls schwachen Westwinden empfängt den Segler auf der Nordhalbkugel der allmählich einsetzende Nordostpassat und es fährt sich gut in nordwestlicher Richtung mit Halbwindkursen bzw. späterem Rückenwind. Schließlich erreicht man in den mittleren Breiten die ?braven Westwinde? der Nordhalbkugel, steuert nordostwärts, dann ostwärts um sich mit vollen Segeln vor dem Winde nach Europa tragen zu lassen, wo die S-Kurve im Zielhafen endet.
Leider richtet sich das Wetter nicht immer nach dem Klima, vielmehr bietet es bisweilen tragische Abweichungen von den mittleren atmosphärischen Verhältnissen. Können die windstillen Gebiete in den zentralen Bereichen der subtropischen Hochdruckgebiete (?Rossbreiten?) oder die äquatoriale Kalmenzone (?Doldrums?) schlimmstenfalls eine totale Flaute hervorrufen, die ggf. mit dem Hilfsmotor überwunden werden muss, stellt das andere Extrem, die tropischen Wirbelstürme, eine existenzielle Gefahr für jedes Segelschiff dar.
Am 2. September 1957 war südlich der Kapverdischen Inseln aus einer afrikanischen Wellenstörung der tropische Sturm CARRIE entstanden. CARRIE zog zunächst westnordwestwärts, erreichte am 5. September Hurrikan-Stärke und nach weiterer Entwicklung bereits am 8. September seine größte Intensität. Kurz zuvor hatte eine amerikanische Flugzeugbesatzung den Sturmwirbel lokalisiert und ein wohl definiertes Auge mit einem Durchmesser von ca. 32 km beobachtet. Als Kategorie-4-Hurrikan gemäß der (erst 15 Jahre später eingeführten) Saffir-Simpson-Skala zeigte CARRIE einen Kerndruck von 945 hPa und brachte es auf mittlere Windgeschwindigkeiten von bis zu 230 km/h. Das war es dann aber (fast) schon, meteorologisch ging es von nun an mit CARRIE eher bergab. Eine trogförmige ?Schwachstelle? im Azorenhoch verringerte den Druckgradienten und brachte CARRIE auf Nordkurs über vermutlich kühlere Meeresoberflächen, so dass sie sich bis zum 11. September auf Kategorie 1 abschwächte. Zwei Tage später wurde CARRIE erneut als "schwerer Hurrikan" (major hurricane, Kategorie 3+) klassifiziert und das wiedererstarkte Azorenhoch zwang den Wirbelsturm auf Nordwestkurs. Amerikanische Meteorologen vom National Hurricane Research Project schwärmten nun von einem der bis dato ?am perfektesten geformten? Wirbelstürme. Ab dem 15. September schwächte sich CARRIE über deutlich kühleren Meeresoberflächen endgültig ab, streifte einen Tag später die Bermuda-Inseln mit relativ geringen Schäden, wo Wetterradarbilder dem Sturmwirbel bereits Zerfallserscheinungen attestierten. Schließlich gelangte der Hurrikan in die außertropische Westwinddrift und zog nunmehr in östlicher Richtung über den Nordatlantik. Seine tropischen Hurrikan-Eigenschaften konnte CARRIE allerdings noch bis zum 23. September bewahren.
In dieser letzten ?Lebensphase? begegnete CARRIE am Morgen des 21. Septembers 1957 etwa 600 Seemeilen (ca. 1.100 km) westsüdwestlich der Azoren der etwa auf nördlichem Kurs segelnden ?Pamir?. Bei Windgeschwindigkeiten von 130 km/h zerrissen die möglicherweise nicht rechtzeitig eingeholten Segel des Viermasters und das Schiff geriet schnell in eine starke Schlagseite, aus der es sich nicht mehr aufrichten konnte. Gegen Mittag kenterte die ?Pamir? bei einer Position von etwa 35° nördlicher Breite, 40° westlicher Länge, schwamm noch circa eine halbe Stunde kieloben und versank in den Fluten. In der tosenden See mit 12 bis 14 m hohen Wellen gab es kaum Überlebenschancen. Tage später wurden nur 6 von 86 deutschen Seeleuten gerettet. CARRIE indes zog in nordöstlicher Richtung weiter in Richtung Europa und wandelte sich in eine außertropische Zyklone um, die am 24. und 25. September auf den Britischen Inseln Sturmschäden sowie schwere Überschwemmungen mit drei weiteren Toten verursachte.
Die unten stehende Abbildung zeigt links den Kurs der ?Pamir? sowie die Zugbahn des Hurrikans CARRIE und rechts die Viermastbark ?Pamir? unter vollen Segeln.
Dipl.-Met. Thomas Ruppert
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 20.09.2017
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