Die zwei Seiten von INGRABAN

Das bereits im vorhergehenden Thema des Tages erwähnte und für die Jahreszeit relativ untypische Sturmtief INGRABAN verlagerte sein Zentrum am Dienstag langsam von Großbritannien zur Nordsee und sorgte für allerhand turbulente Vorgänge in der Atmosphäre.

Die zu diesem Tiefdruckgebiet gehörende Kaltfront erreichte den Westen Deutschlands Dienstagmittag und zog nachfolgend in die östlichen Landesteile weiter. Vor dieser Kaltfront (in der Fachsprache "präfrontal") befand sich noch eine feuchtwarme Luftmasse, die für kräftige Gewitter den perfekten Nährboden bot. Dementsprechend entwickelten sich ab den Mittagsstunden in einem Streifen von Niedersachsen über Thüringen bis nach Bayern einzelne starke Gewitter, deren Schwerpunkt sich im Laufe des Nachmittags in die östlichen Bundesländer verlagerte. Örtlich waren diese mit Sturmböen, Starkregen und kleinerem Hagel sowie höheren Blitzraten verbunden.

Zudem wurden die Gewitter deutlich stärker, je weiter sich diese der Grenze zu Polen sowie der Ostsee näherten. Am Abend intensivierten sich einzelne Gewitterzellen schließlich so stark, dass zwischen der Uckermark und Rügen örtlich Unwetter mit heftigem Starkregen (z.B. 26 Liter pro Quadratmeter in einer Stunde an der Station Uckerland-Karlstein) und großem Hagel aufgetreten sind. Im Laufe der ersten Nachthälfte zogen die teils noch kräftigen Gewitter schließlich nach Nordosten ab und die Nacht verlief dann deutlich ruhiger.

Allerdings war auch postfrontal (d.h. nach der Kaltfront) einiges los. Die einfließende kühlere Meeresluft ließ zwar in der Westhälfte keine so mächtigen und hochreichenden Gewitterzellen wie in Ostdeutschland zu, allerdings gab es dort sowohl am Boden als auch in höheren Atmosphärenschichten eine Zunahme der Windgeschwindigkeit. Durch den vertikalen Impulstransport (also das Herabmischen stärkerer Höhenwinde) waren selbst eher harmlos anmutende Schauer- oder Gewitterzellen teilweise mit Sturmböen oder schweren Sturmböen verbunden. Die stärksten Böen konnten im Westen an der Station Deuselbach mit 96 km/h (entspricht einer schweren Sturmböe, Bft 10) sowie in Trier-Petrisberg (beides Rheinland-Pfalz) mit 109 km/h (orkanartige Böe, Bft 11) gemessen werden.

Der Wind wird auch den heutigen Tag weitgehend bestimmen, da der Kern von INGRABAN sich weiterhin über der Nordsee befindet. An der Nordseeküste muss daher generell mit Sturmböen und einzelnen schweren Sturmböen gerechnet werden, sonst sind die Sturmböen meist an sich im Tagesverlauf bildende Schauer und Gewitter gebunden. Ein erhöhtes Risiko für kräftige Schauer- und Gewitterentwicklungen besteht vor allem von der Mitte bis zur Donau sowie im Osten des Bundesgebiets. Mit Tief INGRABAN ist aber auch deutlich kühlere Meeresluft nach Deutschland eingeflossen. Ein warmer Tag (das ist in der Klimatologie ein Tag mit mindestens 20,0 Grad Lufttemperatur) wird heute am ehesten noch in der Lausitz sowie stellenweise am Rhein erreicht werden. Durch den recht kräftigen Wind ist das Temperaturempfinden zudem deutlich kälter.

Es müssen aber noch keine Herbstgefühle aufkommen: Am Donnerstag liegt das Temperaturniveau zumindest in der Mitte und im Süden wieder um rund 5 Grad höher. Allerdings wird der Sonnenschein nicht gleichmäßig verteilt sein: Im Süden kann reichlich Sonne getankt werden, im Norden ziehen dagegen viele Wolken über den Himmel hinweg und zeitweise fällt Regen. Am Freitag gibt es mit der nächsten Kaltfront wieder Schauer und Gewitter für fast alle, bevor am Wochenende die sommerlichen Temperaturwerte zurückkommen werden. Die meteorologische Achterbahnfahrt geht also munter weiter.

Mag.rer.nat. Florian Bilgeri

Deutscher Wetterdienst

Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 07.06.2017

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