"Deutschlandweit liegen die Höchstwerte heute zwischen 17 und 23 Grad". Diese oder ähnliche Aussagen sind in den täglichen Wetterberichten zu finden. Kein Wunder, denn das Interesse an der Temperaturentwicklung ist in der Öffentlichkeit sehr groß. Muss mit einer länger andauernden Hitzewelle gerechnet werden, sorgt Väterchen Frost für klirrende Kälte oder lädt ein lauer Spätsommerabend zum Grillen an der frischen Luft ein?
In der Meteorologie ist besonders die Lufttemperatur von Interesse. Diese wird in 2 m Höhe über dem Erdboden geschützt in einer weißen Wetterhütte gemessen, abseits von externen Einflüssen wie dem Bodenwärmestrom oder der Sonnenstrahlung. Verfolgt man die Temperatur über mehrere Tage, so erhält man den entsprechenden Tagesgang der Temperatur zwischen Tag und Nacht. Erweitert man die Beobachtungsreihe und trägt die Monatsmitteltemperaturen auf, dann kann man den Jahresgang der Temperatur ermitteln.
In der Meteorologie gibt es aber auch noch viele weitere Temperaturen, wie z.B. die gefühlte Temperatur oder die Feuchttemperatur, wobei im Folgenden nun aber näher auf die sogenannte ?potentielle Temperatur? eingegangen werden soll. Dabei handelt es sich um einen fiktiven, also berechneten Wert. Ziel dieser Berechnung ist, Temperaturmessungen aus unterschiedlichen Höhenbereichen untereinander vergleichen zu können oder anders ausgedrückt: Die potentielle Temperatur gibt an, welche Temperatur ein Luftpaket annimmt, wenn es auf Meeresniveau gebracht wird.
Nicht selten stellt man sich bei der Vorbereitung des Wetterberichts die Frage, aus welchem Höhenniveau eine Luftmasse stammt. Eine wichtige Eigenschaft der potentiellen Temperatur ist ihre Unabhängigkeit von Hebungs- oder Absinkvorgängen. Wie kann man sich das vorstellen? Betrachtet man ein Luftteilchen und verfolgt, wie es zum Beispiel über einen Berg strömt, dann ist folgendes zu beobachten: Sobald das Teilchen aufzusteigen beginnt, kühlt es sich ab und wenn es auf der anderen Seite des Berges wieder nach unten sinkt, dann erwärmt es sich wieder. Demgegenüber aber ändert sich die potentielle Temperatur dieses Teilchens nicht. Man kann also sagen, dass die Luft, abgesehen von einzelnen Ausnahmen, auf die hier nicht näher eingegangen wird, entlang Linien gleicher potentieller Temperatur (den sogenannten ?Isentropen?) strömt. Klingt alles sehr komplex, doch lässt sich dieser Sachverhalt an Hand eines Beispiels aus der Realität gut darstellen.
Das Bild zeigt die Auswirkungen einer markanten Föhnlage, die Anfang März 2017 u.a. den östlichen Bodensee erfasste. Im linken Bild ist die gemessene Lufttemperatur in 2 Meter über Grund dargestellt. Dort, wo der Föhn durchgebrochen ist, kletterte die Temperatur auf 14 Grad oder mehr. Der Föhndurchbruch ist auch im rechten Bild zu sehen, wo der Wind mit Sturmstärke, teils auch mit orkanartigen Böen bis in tiefe Lagen durchgebrochen ist. Nun kann man sich fragen, aus welcher Höhe die Föhnluft stammt. Diese Frage kann mit Hilfe der potentiellen Temperatur wenigstens ansatzweise beantwortet werden (siehe mittleres Bild). Man sieht, dass dort, wo der Föhn durchgebrochen ist, Werte der potentiellen Temperatur von 18 bis 21 Grad berechnet wurden, während sie abseits des Föhns rund 10 Kelvin tiefer lagen. Die Föhndefinition des Forschers H. v. Ficker aus dem Jahre 1920 besagt, dass "?die potentielle Temperatur in einem Talorte gleich jeder in höheren, föhnbestrichenen Orten [?] ist". Da die Luft entlang von Isentropen strömt, muss man nun ähnliche oder gleiche Werte in unterschiedlichen Höhenbereichen finden. In unserem Beispiel ähnelt die potentielle Temperatur auf dem 2500 m hohen Säntis (Lufttemperatur bei -3 Grad) der potentiellen Temperatur am südöstlichen Bodensee (Altenrhein auf 400 m mit einer Lufttemperatur von +16 Grad). Eine Luftmasse, die nach dem Überströmen eines Gebirges absinkt, trocknet ab und erwärmt sich dabei trockenadiabatisch (siehe: http://bit.ly/2r4ZNS9), also um 1 Grad pro 100 m. Das würde bei einer Höhendifferenz von 2100 m eine Temperaturdifferenz von 21 Kelvin ergeben. Altenrhein müsste also +18 Grad melden. Doch da die potentielle Temperatur in Altenrhein noch geringfügig niedriger ist als die vom Säntis, sank die Luftmasse vorerst auch noch nicht von 2500 m ab und konnte sich nicht so stark erwärmen. Bereits 1 Stunde später wurden jedoch die 18 Grad vielerorts in dieser Region erreicht und man konnte sagen, dass die Föhnluft vom Höhenniveau des Säntis bis zum Boden durchgebrochen war.
Dieses Beispiel der Föhnbeobachtung mithilfe der potentiellen Temperatur zeigt nur eine Verwendungsmöglichkeit von vielen und daher verwundert es nicht, dass die potentielle Temperatur in der Wettervorhersage ein bedeutender und häufig verwendeter Parameter ist.
Dipl.-Met. Helge Tuschy
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 21.05.2017
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