Ein in der Meteorologie häufig verwendeter Begriff ist die "Front". Dabei handelt es sich um einen mehr oder weniger scharfen Übergangsbereich, in dem sich die Temperatur, die Feuchte, der Luftdruck und die Windrichtung ändern. Er gilt daher auch als Luftmassengrenze. Einer Kaltfront folgt meist kältere und einer Warmfront meist wärmere Luft und beide Fronten vermischen sich bei einem alternden Tiefdruckgebiet zu einer Okklusion. All diese Fronten beeinflussen unser Wetter und sorgen für Abwechslung und Spannung bei der täglichen Wettervorhersage. Dank der unzähligen Wetterkarten in den Medien, wo die Luftmassengrenzen als blaue, rote und violette Linien eingezeichnet sind, ist auch die Öffentlichkeit mit der Abbildung dieser Fronten vertraut.
Doch auch abseits der o.g. Fronten gibt es interessante Phänomene, die sich aber in bestimmten physikalischen Merkmalen von den üblichen Fronten unterscheiden. Eine solche Erscheinung ist die sogenannte "dryline". Zwar tritt diese auch hin und wieder in einigen Regionen Europas auf, allerdings sind sie dann meist kurzlebig und nicht sehr wetteraktiv. Um die "dryline" besser verstehen zu können, werfen wir einen Blick gen Westen in die USA, und zwar besonders in den zentralen Mittleren Westen (von Texas bis Nebraska). Dort treffen immer wieder sehr feuchte Luftmassen vom Golf von Mexiko auf sehr trockene Luftmassen im Lee der Rocky Mountains.
Eine "dryline" lässt sich kurz und knapp erklären. Es ist der Bereich, wo auf engstem Raum enorme Gradienten (Unterschiede) der Luftfeuchtigkeit herrschen. Es handelt sich allerdings nicht um eine der vorher erwähnten Fronten, da keine Temperaturunterschiede entlang der "dryline" vorhanden sein müssen. Schauen wir sie uns anhand eines Beispiels genauer an.
Dem Thema des Tages ist eine Grafik vom 11. Februar 2017 beigefügt. Die roten Zahlen in a) stellen die Temperaturhöchstwerte dieses Tages dar, die mit bis zu 37 Grad selbst für die Gebiete des Mittleren Westens für diese Jahreszeit als außergewöhnlich hoch angesehen werden können. Östlich der roten Zahlen stellen die grünen und gelben Werte in den schwarzen Kästchen positive Taupunkttemperaturen (siehe DWD Lexikon) jenseits der +16 Grad dar. Hier ist die Luftmasse sehr feucht und wird in Kombination mit den hohen Lufttemperaturen als drückend bzw. schwül empfunden. Im Satellitenbild wird dieser Bereich durch die zahlreichen Haufenwolken (Kumulusbewölkung) sichtbar (siehe b)). Westlich der roten Zahlen deuten die weiß und hell-lila gefärbten negativen Werte in den schwarzen Kästchen auf sehr tiefe Taupunkttemperaturen hin. Diese Luftmasse ist also extrem trocken und meist trübt keine Wolke den Himmel. Und genau zwischen der sehr feuchten und der sehr trockenen Luftmasse ist die "dryline" (orange gefärbte Warmfront) zu finden.
In der Abbildung c) erkennt man, dass die feuchte Luftmasse direkt östlich der "dryline" eine geringe vertikale Mächtigkeit aufweist und dabei nach Osten zu immer mehr an (vertikaler) Mächtigkeit gewinnt.
Doch wie bewegt sich eine "dryline" fort? Die tägliche Sonneneinstrahlung und daraus resultierende Erwärmung der Luft sorgen zusätzlich für ein wiederkehrendes Schwingungsmuster der "dryline": Tagsüber führt die kräftige Sonneneinstrahlung zur Erwärmung und Durchmischung der feuchten Luftmasse östlich der "dryline". Die Durchmischung wird hervorgerufen durch die erwärmte und folglich aufsteigende Luft, die dadurch abkühlt und wieder absinkt. Dabei wird trockenere Luft aus höheren Luftschichten zum Boden transportiert und die Luftmasse trocknet zunehmend ab. Je flacher die vertikale Mächtigkeit der feuchten Luftmasse, desto schneller die Durchmischung. Man kann also sagen, dass sich die "dryline" nach Osten "voranmischt". Wie schnell diese Ostbewegung ausfällt, wird z.B. durch das umströmte Gelände beeinflusst, sodass die "dryline" zeitweise Dellen aufweist (engl. sog. "dryline bulge"). Die Ostverlagerung findet tagsüber zwischen dem Vormittag und Nachmittag statt, schwächt sich zum Abend hin ab und kehrt sich in der Nacht wieder um.
Die "dryline" ist in dieser Region auch bekannt für das Auslösen von Gewittern, die zusammen mit weiteren meteorologischen Zutaten sogar zu Unwettern heranwachsen können mit Begleiterscheinungen wie Starkregen, Hagel, Sturmböen oder Tornados. Damit können sie auch für enorme Schäden sorgen. Das Knifflige für die Meteorologen ist die Frage, wie schnell und wie weit die "dryline" nach Osten vorankommen wird und ob sie kräftig genug sein wird, Gewitter auszulösen. Da aktuell die Tornadosaison in den USA begonnen hat, wird die "dryline" also für die kommenden Wochen und Monate für die Meteorologen und Bewohner vor Ort ein heißes Thema darstellen.
Dipl.-Met. Helge Tuschy
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 10.04.2017
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