Bereits im Vorfeld der Entstehung des Tiefs ULRIKE über dem Golf von Genua am vergangenen Dienstag herrschte über Süddeutschland eine angespannte Wetterlage. Mit Annäherung der Kaltfront des Skandinavientiefs TIBA entstanden über Süddeutschland heftige Gewitter und Starkregenfälle. Traten diese zunächst nur punktuell auf, entwickelten sich zunehmend zusammenhängende Niederschlagsgebiete (Cluster) mit länger andauernden Regenfällen (siehe Thema des Tages vom 12.07.2016).
Am vergangenen Dienstag erreichte die Kaltfront nun den Alpenbogen, der zunächst einmal eine natürliche Barriere darstellt und schwerlich überwunden werden kann. Die Schubkomponente der Front (Wind, der senkrecht auf der Front steht und somit für die Verlagerungsgeschwindigkeit verantwortlich ist) war zu diesem Zeitpunkt über Deutschland nur schwach ausgeprägt, über Frankreich allerdings stärker, womit sie dort rasch ins westliche Mittelmeer vordringen konnte. Da auch die Bedingungen in höheren Atmosphärenschichten einen guten Nährboden für eine neue Tiefentwicklung (Zyklogenese) darstellten, entwickelte sich das auf den Namen ULRIKE getaufte Tief im Lee der Alpen über dem Golf von Genua. In der Meteorologie ist dieser Prozess klassisch als sogenannte "Genuazyklogenese" bekannt.
Stößt nun die Kaltluft am Südrand des neu entstandenen Tiefs weiter ostwärts vor, trifft sie über dem zentralen Mittelmeerraum, insbesondere über der Adria, häufig auf feucht-warme Subtropikluft. Dieser Gegensatz liefert wiederum einen guten Nährboden für Randtiefentwicklungen (in diesem Fall ULRIKE II) auf der Vorderseite des Genuatiefs (ULRIKE I). Sie ziehen mit der Höhenströmung östlich des Alpenbogens nord-nordostwärts (Vb-Zugbahn, siehe Thema des Tages vom 26.02.2016) und bringen auf ihrer Rückseite bevorzugt über Süd- und Ostdeutschland, Österreich, Tschechien und Westpolen kräftigen Dauerregen. Ergibt sich im Hochsommer eine derartige, eventuell sogar mehrtägige Wetterkonstellation, sind nicht selten verheerende Hochwasser die Folge (Oderhochwasser 1997, Elbehochwasser 2002). Warme Luft kann mehr Wasser aufnehmen als kalte, daher ist zu dieser Zeit der potentielle Gehalt an niederschlagbarem Wasser am höchsten.
Beschränkten sich die Regenfälle zunächst auf Süddeutschland, insbesondere Ober- und Niederbayern, weiteten sie sich mit nordwärtiger Verlagerung von ULRIKE II am gestrigen Donnerstag zunehmend auch nach Sachsen und Ostbrandenburg aus. In einem Streifen von der Oberlausitz bis zum Oderbruch, sowie punktuell im Berchtesgadener Land wurden dabei in den letzten 24 Stunden Niederschlagssummen von 30 bis 50 Liter pro Quadratmeter erreicht (siehe Abbildung), was vielerorts bereits etwas mehr als die Hälfte des im Juli üblichen Monatsniederschlags ausmacht. Dabei muss man jedoch festhalten, dass Deutschland noch glimpflich davon gekommen ist und es Polen beispielsweise weitaus schlimmer erwischte. So fielen im gleichen Zeitraum in Leszno-Strzyzewice südlich von Poznan (Posen) 83 l/qm, also rund das doppelte der hiesigen Mengen. Schaut man gezielt auf die letzten 3 Tage nach Oberbayern, so fielen dort verbreitet 50 bis 80 Liter auf den Quadratmeter, am Alpenrand örtlich sogar über 100 l/qm, wie beispielsweise mit 116 l/qm in Oberstdorf-Rohrmoos oder mit 128 l/qm an der Station Obere Firstalm in den Schlierseer Bergen unweit des Tegernsees.
Trotz dessen ist die gegenwärtige Hochwassersituation in benannten Gebieten glücklicherweise nicht dramatisch. In Passau wurde mit einem Pegelstand von 753 cm am gestrigen Abend die Meldestufe 2 erreicht. Die befürchtete Überschreitung der 770 cm Marke (Meldestufe 3) wurde aber nicht registriert. Inzwischen sind die Pegel wieder leicht am Fallen. Meldestufen 1, vereinzelt 2 sind in Bayern aktuell zudem noch an der Regen, Schwarzach und Würm vorzufinden. Weitere Informationen hierzu finden Sie unter www.hochwasserzentralen.de.
Bemerkenswert sind aber auch die Höchsttemperaturen der vergangenen Tage, beispielsweise in Reit im Winkl im Landkreis Traunstein (Bayern): Montag (vor der Kaltfront) 31,4 Grad, Dienstag 22,5 Grad, Mittwoch 16,2 Grad, Donnerstag 11,6 Grad. Macht einen Temperatursturz von satten 20 Grad binnen drei Tagen, da gerät der Kreislauf bei dem ein oder anderen schon an seine Grenzen.
Nach Abzug des Tiefs ULRIKE setzt sich in den nächsten Tagen zumindest in der Südhälfte des Landes ein Keil des Hochs BURKHARD mit Zentrum über der Biskaya durch und entschädigt mit Sonnenschein und sommerlichen Höchstwerten über 25 Grad. Der Norden wird unterdessen zeitweise von - wenn auch schwachen - Tiefausläufern überquert. Die Temperaturen steigen aber auch dort etwas an und überschreiten vielfach wieder die 20 Grad-Marke.
Dipl.-Met. Robert Hausen
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 15.07.2016
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