Am gestrigen Sonntagmorgen war das regionale Wetterphänomen mal wieder eindrucksvoll zu beobachten. In der inneren deutschen Bucht formierte sich ein Wolken- und Niederschlagsband, in dessen Bereich es teilweise anhaltend und heftig schüttete, blitzte und donnerte. Im Zeitraum von 02 bis 08 Uhr MESZ fielen in St. Peter-Ording beispielsweise 18 Liter auf den Quadratmeter, knapp 40 Kilometer nordöstlich in Hattstedt bei Husum noch 12 l/qm.
Häufig sind diese Linien nahezu ortsfest, beginnend bei oder knapp nördlich der Ostfriesischen Inseln, um das Seegebiet um Helgoland, bevor sie vor St. Peter-Ording, Pellworm, Nordstrand und Husum wieder das Festland erreichen. Bei nachlassender Wetteraktivität lassen sich die Schauerstraßen noch regelmäßig bis zur Flensburger Förde verfolgen.
Um den Ursachen auf die Spur zu kommen, bedienen wir uns der Zutatenmethode, wie sie beispielsweise auch im Thema des Tages vom 27.05.2016 beschrieben wurde. Elementar für die Entwicklung von Schauern und Gewittern sind ausreichend Feuchte, Labilität und Hebung.
Nun, genug Feuchtigkeit ist dank der Wasserunterlage der Nordsee zumindest bodennah kein Problem. Spielt die untere und mittlere Troposphäre (Schichten bis etwa 5 km Höhe) auch noch mit, sind die Voraussetzungen bezüglich des Wasserdampfgehalts schon mal gegeben.
Die Schichtung der Atmosphäre wird als labil bezeichnet, wenn sich die Luft mit der Höhe rasch abkühlt. Ein am Boden erwärmtes Luftpaket hat dann die Möglichkeit rasch aufzusteigen, da warme Luft aufgrund ihrer geringeren Dichte leichter ist als kalte Luft (Archimedisches Prinzip). Diese rasche Temperaturabnahme wird bei unserem Beispiel durch die verhältnismäßig warme Wasseroberfläche generiert. So liegen die Wassertemperaturen an der Nordseeküste aktuell zwischen 16 und 19 Grad. Gleichzeitig herrschten am gestrigen Sonntagmorgen in rund 5,5 km Höhe Temperaturen um die -25 Grad, was einem Unterschied von mehr als 40 Grad zwischen beiden Niveaus entspricht. Als Faustformel ist dies in der Wettervorhersage auch der ungefähre Wert, ab dem man von einer ausreichend labilen Schichtung sprechen würde. Da die Kaltluftvorstöße im Herbst an Qualität gewinnen und das Wasser die Wärme des Sommers länger speichern kann als der Erdboden (hohe Wärmekapazität), erreichen die angesprochenen Schauer- und Gewitterlinien im Herbst ihre stärksten Intensitäten.
Zu guter Letzt muss die Luft noch gehoben werden, denn dabei gerät sie unter geringeren Außendruck, dehnt sich aus und kühlt sich in der Folge ab, womit der enthaltene Wasserdampf kondensiert. Es bilden sich Wolken und mit fortschreitendem Prozess auch Niederschläge. Diese gewissermaßen erzwungene Hebung wird nun durch das bodennahe Windfeld hervorgerufen. Während bei auflandiger Komponente der Wind nahezu ungestört über die offene See fegt, wird er beim Aufprall aufs Festland abgebremst und zum tiefen Luftdruck abgelenkt. Klassischerweise modifiziert sich somit ein Westwind über Helgoland zu einem Südsüdwestwind entlang der Nordfriesischen Küste. Dazwischen gibt es also einen Bereich zusammenströmender Luftbewegungen (Küstenkonvergenz), in dem sich dann die Schauer- und Gewitterlinie formiert.
Aufmerksame Bewohner und Urlauber werden feststellen, dass sich die Schauer tagsüber häufig "in Luft" auflösen und eher der Sonnenschein dominiert. Nicht umsonst zählen die Küstengebiete mit zu den sonnenscheinreichsten Regionen Deutschlands. Dieser Umstand ist darin begründet, dass sich die Landoberfläche tagsüber durch die Sonneneinstrahlung erwärmt und somit rasch Temperaturen erreicht werden, die über den Wassertemperaturen liegen. Die Luftpakete sind nun landeinwärts wärmer (höhere Labilität) und steigen daher nun versetzt im Binnenland auf. Nun beginnt gleichzeitig der Seewind einzusetzen. Dabei weht er anstatt küstenparallel (Südsüdwest) nun zunehmend senkrecht zur Küste (West). Dadurch verschwindet die Konvergenz im Windfeld und somit auch der Hebungsantrieb.
Touristen in Nordseenähe müssen auch in den kommenden Tagen tapfer bleiben. Neben zeitweiligen Schauern gesellen sich am morgigen Dienstag mit Annäherung des Tiefs RENATE auch noch Sturmböen mit Geschwindigkeiten um 80 km/h hinzu. Wie für die teils kräftigen Regenfälle werden die Einheimischen allerdings dafür auch nur ein müdes Lächeln übrig haben - schließlich gehören selbst im Hochsommer einzelne Sturmböen ebenfalls zum festen Repertoire des Nordseeklimas.
Dipl.-Met. Robert Hausen
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 04.07.2016
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