Noch Ende Januar diskutierten wir die Verschiebung des stratosphärischen Polarwirbels Richtung Mitteleuropa, wobei die Temperaturen Anfang Februar in der Stratosphäre in etwa 20 km Höhe über Nord- und Mitteleuropa auf unter -80 Grad gefallen waren. Es bildeten sich Polare Stratosphärenwolken, die bis in den Alpenraum beobachtet werden konnten (sieh Thema des Tages vom 21.01.2016). Nun stellt sich dort oben ein anderes Extrem ein. In den vergangenen Tagen gab es eine plötzliche Stratosphärenerwärmung. Seit Beginn der Satellitenmessungen 1979 war es im März in dieser Höhe in den nördlichen Bereiten noch nie so warm. Was dies für unser Wetter bedeuten könnte, soll im heutigen Thema des Tages erörtert werden.
Das Phänomen der plötzlichen stratosphärischen Erwärmung wurde von Richard Scherhag entdeckt, der an der Freien Universität Berlin in den 50er Jahren die Stratosphäre erforschte und regelmäßig Temperaturmessungen mittels Radiosonden durchführte. Er entdeckte, dass sich die Winterstratosphäre auf der Nordhalbkugel in unregelmäßigen Abständen, im Mittel alle zwei Jahre plötzlich innerhalb von wenigen Tagen stark erwärmt. Diese Erwärmung wird auch als "Berliner Phänomen" bezeichnet.
Die Entstehung dieser plötzlichen Erwärmungen ist recht komplex. Die Ursache dafür lässt sich in der Troposphäre finden. Etwas vereinfacht dargestellt breiten sich bei bestimmten Wetterlagen auf der Nordhalbkugel Wellen vertikal bis in die Stratosphäre aus. Dort beginnen sie sich in etwa 30 km Höhe aufzulösen und setzen dabei ihre Wellenenergie frei. Diese wird in Wärmeenergie umgewandelt, sodass es zu einer raschen Erwärmung kommt. Diese Erwärmung beginnt zunächst in etwa 30 km Höhe. Ist diese kräftig genug, "wandert" sie bis in eine Höhe von 15 km hinunter.
Man unterscheidet zwei Typen von Erwärmungen: Ein sogenanntes Minor Warming, dass nur eine Erwärmung um wenige Grad bringt. Minor Warmings treten häufiger während eines Winters auf und haben keine wesentlichen Auswirkungen. In unregelmäßigen Abständen von im Mittel etwa 2 Jahren kommt es zu sogenannten Major Warmings. Dabei steigt die Temperatur in der Stratosphäre in wenigen Tagen um über 50 Grad an. Dies hat nachhaltige Auswirkungen auf die Zirkulationsverhältnisse in der Stratosphäre. Im Winter bildet sich über der Arktis ein Polarwirbel. Er ist ein Höhentief, das sich aufgrund der Kaltluftansammlung im Winter über den Polargebieten bildet und sich von der oberen Troposphäre bis in die Stratosphäre erstreckt. In ihm lassen sich besonders tiefe Temperaturen antreffen. Der Polarwirbel erzeugt westliche Winde in der Stratosphäre. Durch ein Major Warming wird dieser zerstört und zerfällt in mehrere Teilwirbel. Die winterlichen Westwinde schwächen sich ab und kehren sich sogar zu Ostwinden um. Dies hat dann sogar Auswirkung auf unser Wetter. Denn in der Troposphäre schwächt sich dadurch der Jetstream (Starkwindband in der oberen Troposphäre und unteren Stratosphäre) ab. Somit werden dann sogenannten Blockadelagen begünstigt. Dabei stoßen Hochdruckgebiete weit nach Norden vor und führen an ihrer Westflanke warme Luft in Richtung Pol. Die normalerweise vorherrschende West-Ost-Zugbahn der Tiefdruckgebiete wird dadurch unterbrochen, sodass die Tiefdruckgebiete mit Kaltluft aus polaren Breiten weit nach Süden ausscheren können. Diese Blockadelagen sorgen im Winter häufig für länger kältere Phasen in Mitteleuropa. Major Warmings erhöhen also die Chance auf kalte Witterungsphasen in den mitteleuropäischen Wintern. Das letzte Major Warming trat im Februar 2013 auf und war wahrscheinlich hauptverantwortlich für den 3 Grad zu kalten März. Damals gab es sogar im Tiefland über eine längere Zeit noch eine geschlossene Schneedecke. So eine Witterungsphase wie im März 2013 ist ein Extrembeispiel und erwartet uns dieses Jahr allerdings nicht, da die Erwärmung in der Stratosphäre in diesem Jahr im Vergleich zu 2013 auch ziemlich spät aufgetreten ist.
Die aktuelle blockierende Lage mit einem kräftigen Nordseehoch, an dessen Südostflanke gealterte Kontinentalluft zu uns geführt wird, könnte eventuell durch die Stratosphärenerwärmung forciert worden sein. Doch da dieses Jahr auch weite Teile Osteuropas schneefrei sind, hat sich die Kontinentalluft bereits erwärmt. Des Weiteren sind viele Blockadelagen in der schon fortgeschrittenen Jahreszeit nicht mehr so kalt wie im Winter. Bei richtiger Lage des Hochs könnte es durchaus frühlingshaft werden. Schaut man sich die Entwicklung im Mittelfristzeitraum an, so setzt sich die aktuelle Blockadelage fort. Es herrscht weiterhin recht ruhiges Hochdruckwetter. Dennoch wird besonders der Osten Deutschland immer mal wieder von mäßig kalter Luft gestreift. Ein richtig starker Wintereinbruch steht nach derzeitigem Stand der Modelle nicht auf dem Plan, allerdings ist auch kein richtiges Frühlingswetter in Sicht.
Dipl.-Met. Christian Herold
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 13.03.2016
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