Die Lehre der periodischen Wachstums- und Entwicklungserscheinungen aller pflanzlichen und tierischen Lebewesen in ihren zeitlichen Abhängigkeiten bezeichnet man als Phänologie. Diese untersucht die Entwicklung der Pflanzen und Tiere im Jahresablauf, indem sie die Eintrittszeiten auffälliger Erscheinungen notiert. Bei Pflanzen sind dies z.B. Daten für Blattentfaltung, Blüte oder Fruchtreife und bei Tieren Daten für periodische Wanderungen oder bestimmte Verhaltensweisen. Die Phänologie erforscht auch die Zusammenhänge zwischen der biologischen Rhythmik und den Umwelteinflüssen, insbesondere den Witterungs- und Klimaverhältnissen.
Entsprechend der phänologischen Uhr, eine Darstellung, die die natürlichen Jahreszeiten - und somit den zeitlichen Vegetationsablauf, wie er im Mittel für ein bestimmtes Gebiet erwartet werden kann - beschreibt, befindet sich unsere Natur in Deutschland derzeit eigentlich im Wintermodus. Diese phänologische Phase wird durch den Blattfall der Stiel-Eiche bzw. ersatzweise durch den Blatt- oder Nadelfall von spät reifenden Apfelbäumen oder der "Europäischen Lärche" eingeleitet. In diesem Jahr wurde dies ab dem 6. November beobachtet (vgl. Graphik 1). Im Normalfall setzt nachfolgend die sogenannte Vegetationsruhe ein. Diese wird definiert als derjenige Zeitraum des Jahres, in dem die Pflanzen photosynthetisch inaktiv sind, d.h. keinerlei Wachstum, Blühaktivität bzw. Fruchtbildung zeigen. Als Beginn der Vegetationsruhe wird im Allgemeinen derjenige Abschnitt des Jahres definiert, in welchem das Tagesmittel der Lufttemperatur unter 5° Celsius (für verschiedene Pflanzen auch schon unter 10 °C) liegt. Zu beachten ist, dass der Begriff Vegatiationsruhe- bzw. -periode nur in Klimazonen mit ausgeprägten Jahreszeiten, wie es in den arktischen, gemäßigten und subtropischen Klimazonen der Fall ist, angewendet werden kann. Diese typische Winterruhe wird durch kürzere Tageslängen und sinkende Nachttemperaturen eingeleitet. Pflanzen, die im folgenden Frühjahr weiter wachsen, reagieren darauf mit einem deutlich geringeren Wassergehalt in ihren Zellen sowie durch Bildung von "Gefrierschutzmitteln" (z. B. Zuckern), die verhindern, dass die wässrige Zellflüssigkeit gefriert und die Zellen zerstört.
Durch die derzeitigen sehr milden Temperaturen liegen jedoch die Tagesmitteltemperaturen über dem Schwellenwert von 5 Grad. Entsprechend setzte in der Pflanzenwelt ein Vegetationsschub ein. Als erstes Signal für den Vorfrühling dient aus phänologischer Sicht der Beginn der Haselblüte. Und genau diese schlägt derzeit neben auch weiteren Frühblühern aus. In weiten Teilen des Landes macht den Allergikern nachfolgend ein geringer Haselpollenflug zu schaffen (vgl. Graphik 2). Sogar die Erlenpollen sind regional schon auf dem Vormarsch.
Doch das Bild ist trügerisch! Denn der Winter ist noch nicht richtig in Fahrt gekommen und wird mit großer Sicherheit auch Deutschland mit frostigen Temperaturen und mehr oder weniger Schnee heimsuchen. Es verdichten sich allmählich die Anzeichen, dass schon zum Jahresstart einen Vorstoß des Winters möglich sein könnte. Dieser würde die nun blühenden Pflanzen völlig auf dem falschen Fuß erwischen und ihnen erheblichen Schaden zufügen. Normalerweise entstehen Frostschäden in der Natur zumeist in den Übergangsjahreszeiten Frühling und Herbst, wenn durch ungewöhnlich tiefe Lufttemperaturen (Spät- bzw. Frühfröste) in den Beständen verbreitet Pflanzen geschädigt werden (z.B. Fröste zur Obstblüte, Erfrierungen von gelegten Kartoffeln im Frühling oder Schäden bei Spätobst im Herbst). Doch auch nun, mitten im Winter, könnten die Pflanzen nach der sehr milden Witterungsperiode, mit für die Jahreszeit ungewöhnlich hohen Temperaturen, durch einsickernde Frostluft größeren Schaden nehmen.
Dipl.-Met. Lars Kirchhübel
Deutscher Wetterdienst