Nordatlantische Zirkulation?
Im Oktober und November dominierte eine kräftige westliche Strömung, die zahlreiche Sturmtiefs über den östlichen Atlantik bis nach Nord- bzw. Mitteleuropa führte. Vor allem in den ersten beiden Novemberdekaden herrschte eine außergewöhnlich milde und sehr windige bis stürmische Witterung vor. Ob "Albert", "Binrasheed" und "Carsten" oder "Frank", "ex-Kate", "Heini" und "Iwan", alle Tiefdruckgebiete folgten einer ähnlichen Zugbahn und brachten Deutschland stürmische Zeiten, die mit Durchzug von Sturmtief "Heini" ihren Höhepunkt erlebten. Aufgrund der Lage des korrespondierenden Hochdruckgebietes über dem Süden Europas konnte die Luft zeitweise sogar aus dem Meeresgebiet der Kanaren nach Mitteleuropa gelangen. Die Folge waren rekordverdächtige Höchst- und Tiefstwerte in der ersten Novemberhälfte. Insgesamt stieg die Temperaturabweichung in Deutschland bezüglich des vieljährigen Mittels im November auf Werte teilweise über +6 Grad.
Doch plötzlich riss die Westströmung ab, die Entwicklung neuer Tiefdruckgebiete über dem Atlantik wurde unterbrochen und hatte eine Umstellung der Wetterlage über weiten Teilen Europas zur Folge. Nach Durchzug der beiden letzten Tiefdruckwirbel "Jürgen" und "Kunibert" konnte sich das Azorenhoch bis nach Grönland und Neufundland nach Norden ausweiten. Zwischen dem hohen Luftdruck über dem östlichen Atlantik und dem tiefen Luftdruck über Nord- und Mitteleuropa bildete sich eine kräftige Nordströmung aus, die die Luft direkt aus dem Gebiet zwischen Grönland und Spitzbergen südwärts über die Britischen Inseln und die Nordsee hinweg zu uns transportierte. Dabei setzte auch in Deutschland rückseitig einer durchschwenkenden Kaltfront ein Temperatursturz ein. Während auf der Südseite der Luftmassengrenze in der noch vorhandenen Luft subtropischen Ursprungs Temperaturen bis 16 Grad herrschten, pendelten sich die Werte hingegen auf der Nordseite auf nur noch etwa 6 Grad ein.
Lässt sich dieser kräftigere Kaltlufteinbruch aus Norden nun auch im Muster der "Nordatlantischen Zirkulation" erkennen? In den folgenden Abschnitten sollen für die unterschiedlichen Witterungsverhältnisse im Winterhalbjahr zunächst die sogenannte Nordatlantik-Oszillation (NAO) genauer betrachtet werden. Nachfolgend wird anhand der aktuellen NAO-Werte die vergangene und auch derzeitige Witterungsperiode eingeordnet.
Was beschreibt die Nordatlantik-Oszillation (NAO)? Bei der NAO handelt es sich um eine sehr großräumige Druckverteilung, die in der Meteorologie bevorzugt im Winterhalbjahr zur Erklärung von Witterungsphasen oder auch Klimaeinschätzungen für die Nordhemisphäre eine bedeutende Rolle spielt. Dabei beschreibt die Nordatlantische Oszillation den Druckunterschied zwischen dem Islandtief und dem Azorenhoch. Je nachdem ob die Differenz positiv oder negativ ist, lassen sich Aussagen über die Stärke der in den gemäßigten Breiten dominierenden Westströmung machen (vgl. Abb. 1). Die zeitliche Änderung der Druckunterschiede wird dabei üblicherweise durch einen Index abgebildet.
Bei einem Luftdruckgegensatz zwischen einem starken Azorenhoch und einem ebenfalls ausgeprägten Islandtief spricht man von einem positiven NAO-Index. In diesem Fall stellt sich eine starke westliche Strömung über dem Atlantik bis nach Mitteleuropa ein. Diese führt dann meistens verhältnismäßig warme und feuchte Luft heran, die häufig zu kräftigen Niederschlägen in Form von Regen führt. Dabei entwickeln sich starke Winterstürme, die vom Atlantik über Großbritannien auf Mitteleuropa übergreifen. Im Mittelmeerraum herrscht durch das Azorenhoch bei östlicher Strömung gleichzeitig weitestgehend kühles und trockenes Wetter vor.
Bei einem negativen NAO-Index sind meist das Azorenhoch sowie auch das Islandtief, aber vor allem das Islandtief schwach ausgeprägt. Wegen der fehlenden stärkeren Druckgegensätze bildet sich nur eine schwache Westströmung aus. Als Folge kann sich entweder das Russlandhoch weit nach Westen ausdehnen oder hoher Luftdruck von Frankreich bis nach Skandinavien ausweiten. Atlantische Tiefausläufer werden in beiden Fällen blockiert und müssen notgedrungen meist auf eine südlichere Bahn ausweichen. Vom Atlantik kommend ziehen sie dann über Spanien in den Mittelmeerraum. Während es dort zu stärkerem Regen kommt, wird Mitteleuropa in dieser Phase von kalter Luft aus Nord- bzw. Osteuropa mit zeitweiligen Schneefällen heimgesucht.
Der aktuelle Wintereinbruch in Nord-, Nordwest- und Mitteleuropa und somit auch in Deutschland lässt sich ebenso sehr gut anhand der NAO veranschaulichen, wie auch die vorangegangene sehr milde Witterungsperiode. Von Mitte Oktober bis Mitte November herrschten mit einer lediglich kurzfristigen Unterbrechung deutlich positive NAO-Indexwerte vor. In der Spitze wurden um den 10. November Indexwerte von etwa 1,8 verzeichnet (vgl. Abb. 2). In einem gesamten Indexbereich von -4 bis +4, traten in den letzten 65 Jahren nur zweimal Werte um +3 auf. Ansonsten liegen die höheren Abweichungen bei etwa +2. Der signifikant positive NAO-Wert von 1,8 der letzten Wochen korrelierte entsprechend mit einer kräftigen Westwinddrift über West- und Mitteleuropa. Zeitweise konnte sich eine ausgeprägte Tiefdruckzone von Neufundland bis nach Russland ausbilden. Die steuernden Tiefzentren befanden sich dabei meist im Umfeld von Island. In die westliche Strömung eingelagert, entwickelten sich schließlich zahlreiche Randtiefs zu Sturmtiefs. Gleichzeitig überdeckte das Azorenhoch einen Bereich vom Meeresgebiet westlich der Azoren bis ins östliche Mittelmeer. Entsprechend stark waren die Luftdruckgegensätze zwischen den NAO-Index-Referenzstationen auf Island und den Azoren ausgeprägt. Auch die typischen Witterungserscheinungen einer positiven NAO-Phase ließen sich über Europa gut beobachten. Während im Mittelmeerraum ruhiges und trockenes Wetter dominierte, sorgten die zahlreichen Sturmtiefs in West-, Nord- und Teilen Mitteleuropas für einen sehr milden, regenreichen und stürmischen Wettercharakter.
Die plötzliche Umstellung der Großwetterlage auf den Winter kann ebenfalls gut in den NAO-Daten nachvollzogen werden. Innerhalb weniger Tage fiel der Index von 1,8 bis zum 15. November auf 0 und verharrte nachfolgend bei Werten im leicht positiven Bereich. Der Grund dafür war ein schwächelndes Islandtief. Stattdessen weitete sich das weiterhin stark ausgeprägte Azorenhoch, wie anfangs schon beschrieben, nach Norden aus und initialisierte vorübergehend eine nördliche Grundströmung über weiten Teilen Europas. Jedoch war diese Umstellung nicht nachhaltig. Das Azorenhoch verlor rasch wieder an Boden und zog sich Richtung Süden und Westen zurück. Gleichzeitig bildete sich erneut ein starkes Islandtief aus.
Im weiteren Verlauf zeigen die Modellprognosen der NAO bis Mitte Dezember erneut einen deutlich positiven Index (vgl. Abb. 3). Entsprechend würde sich die nordatlantische Strömung wieder zonalisieren und somit den Weg für weitere Sturmtiefs freimachen. Der derzeitige Wintereinbruch wäre dann lediglich ein sehr kurzes Intermezzo in einer sonst eher milden bis sehr milden Witterungsperiode gewesen.
Dipl.-Met. Lars Kirchhübel
Deutscher Wetterdienst