Lange wurde das "Christkind" (spanisch: El-Niño) vorhergesagt, in diesem Jahr ist es nun mit voller Wucht eingetreten und wird voraussichtlich auch noch länger anhalten. Der Begriff "El Niño / Southern Oscillation (ENSO)" beschreibt dabei ein gekoppeltes Zirkulationssystem von Ozean und Atmosphäre im Bereich des tropischen Pazifiks. Im Falle eines El-Niño-Ereignisses kann sich das warme Oberflächenwasser zusammen mit der gekoppelten atmosphärischen Zonalzirkulation (Walker Zirkulation) vom westlichen Pazifik in Richtung Südamerika verschieben. Aufbauend auf das Thema des Tages vom 9. August 2015, in dem diese sogenannte Walker Zirkulation und deren Schwankungen genauer beschrieben wurden, soll in diesem Bericht der aktuelle Stand des derzeitigen El-Niño-Ereignisses näher betrachtet werden.
Schon zur Jahresmitte 2014 prognostizierten die Experten ein El-Niño-Ereignis spätestens zum Nordwinter 2014/15. Doch die Oberflächenwassertemperaturen belegen, dass El-Niño erst in diesem Frühjahr so richtig Fahrt aufgenommen hatte und das Meerwasser bis vor die Küste Perus und Chiles deutlich erwärmte. Derzeit werden über dem kompletten tropischen Pazifik hinweg in den unterschiedlichen Niño-Regionen positive Abweichungen der Oberflächenwassertemperaturen zwischen 1,7 und 2,8 Grad verzeichnet (vgl. Graphik 1 unter www.dwd.de/tagesthema). Lokal sind sogar positive Abweichungen über 3 Grad gemessen worden. Die größte Anomalie wird dabei im mittleren und östlichen äquatorialen Pazifik (Niño3.4-Region, 170° W bis 120° W sowie Niño3-Region, 150°W bis 90°W) beobachtet (vgl. Graphik 2).
Als Maß für die Bewertung und Vorhersage der "El-Niño-Southern-Oscillation" wird beispielsweise der sogenannte "Ozean Niño Index (ONI)" verwendet, der auf den mittleren dreimonatigen Abweichungen der Oberflächenwassertemperaturen in der Niño3.4-Region basiert. Als Referenz dienen verbesserte und homogene historische Analysen der Oberflächenwassertemperatur für den 30-jährigen Zeitraum zwischen 1981 und 2010. Ein El-Niño-Ereignis ist dabei durch einen positiven ONI größer oder gleich 0,5 Grad definiert. Für die Monate August, September und Oktober 2015 wurde für die Niño3.4-Region als aktueller ONI-Wert eine positive Abweichung der Oberflächenwassertemperatur von 1,7 Grad festgestellt. Insgesamt konnte man seit Februar eine positive Abweichung größer oder gleich 0,5 Grad beobachten (vgl. Graphik 3). Letztmals wurden für den Jahreswechsel 1997/1998 (Dez. bis Feb.) ähnliche bzw. leicht höhere Anomalien gemessen (vgl. Graphik 4). Aktuelle Messungen zeigen für Ende Oktober sogar eine positive Abweichung der Wassertemperatur von etwa 2,8 Grad.
Laut der meisten Modellprognosen wird der Höhepunkt des derzeitigen El-Niño-Ereignisses zum Ende diesen Jahres für die Monate November bzw. Dezember erwartet. Entsprechend würde der maximale ONI-Index, also die höchste mittlere dreimonatige Abweichung der Oberflächenwassertemperatur in der Nino3.4-Region, für die Monate November bis Januar prognostiziert. Demnach soll der ONI in diesem Zeitraum im Mittel über alle Modellläufe (gesamtes Ensemble) auf eine Temperaturanomalie von etwa 2,9 Grad steigen und im Anschluss auch nur langsam wieder absinken. Selbst für die Monate April bis Juni 2016 wird noch eine signifikante positive Wassertemperaturabweichung von über 0,5 Grad vorhergesagt. Entsprechend liegt die Wahrscheinlichkeit von El-Niño-Bedingungen im tropischen Pazifik bis ins späte Frühjahr 2016 bei über 70% (vgl. Graphik 5). Auch nach den korrigierten Ensemble-Vorhersagen des CFS.v2-Models des amerikanischen Wetterdienstes sollen noch bis weit in das Jahr 2016 hinein im äquatorialen Pazifik El-Niño-Verhältnisse vorliegen. Allerdings wurde der Höhepunkt bei dieser Modellvariante für den Monatswechsel Oktober/November simuliert, sodass der maximale ONI beim CFS für die Monate Oktober bis Dezember vorhergesagt wird.
Da El-Niño ein großräumiges meteorologisches Phänomen im äquatorialen Pazifik ist und somit einen wesentlichen Einfluss auf die zentralen Zirkulationssysteme hat, können dem "Christkind" nahezu weltweit meteorologische Auswirkungen zugeschrieben werden. Der Nachweis wird über statistische Untersuchungen geführt und hat bislang deutliche Auswirkungen vor allem für den nördlichen Pazifik und Nordamerika bestätigt. Weniger deutliche Wechselwirkungen sind zwischen ENSO und dem Nordatlantik sowie Europa bekannt.
Meist kommt es bei einem El-Niño-Ereignis über dem Pazifik und an der Westküste Südamerikas zu starken Niederschlägen. Im Gegenzug dazu herrscht im westlichen äquatorialen Pazifik, wo normalerweise reichliche Niederschläge fallen, außergewöhnliche Trockenheit. Auch in Südostasien und Australien bleibt es als Folge des "Christkindes" verhältnismäßig trocken und warm, sodass häufig Dürren auftreten. Als Fernfolge von El-Niño überwiegen z.B. im Bereich des Amazonas, wo normalerweise typisch tropisch-feuchte Verhältnisse herrschen, nun längere trockene Phasen. Auch in Südafrika ist das "Christkind" durch eine überdurchschnittlich warme und sehr trockene Witterung spürbar. Im südlichen Teil von Nordamerika zieht die El-Niño-Phase dagegen meist feuchte und kühle und im Nordwesten überdurchschnittlich warme Verhältnisse nach sich. Ein Blick auf die Wetterbedingungen von September, Oktober und November für Nordamerika zeigt die typischen El-Niño-Eigenschaften. Während es an der Westküste, vom südlichen Kalifornien bis nach Mexiko, sowie auch über den gesamten südlichen Teil der USA hinweg bei teils unterdurchschnittlichen Temperaturen ergiebig regnete und teilweise 200 bis 600 Prozent des Niederschlags im vieljährigen Mittel verzeichnet wurden, fiel die Witterung im Nordwesten, Norden und Nordosten der USA eher trocken aus. Vor allem in der Nordwesthälfte des Landes wurden dabei zudem deutlich überdurchschnittliche Temperaturen mit einer Abweichung von bis zu +5 Grad gemessen. Auch für die nächsten drei Monate, also in dem Zeitraum bis Ende Januar, werden für die Südhälfte der USA teils deutlich überdurchschnittliche Regenmengen prognostiziert. Vor allem für Texas und dessen Nachbarregionen sollen dabei die Temperaturen im vieljährigen Vergleich unterdurchschnittlich ausfallen.
Ob und in welcher Größenordnung sich das derzeitige El-Niño-Ereignis auch auf das Wetter in Europa und somit auch Deutschlands auswirkt und die nun schon länger anhaltende sehr milde Periode zurückzuführen ist, konnte noch nicht nachgewiesen werden. Laut einem Artikel auf dem Hamburger Bildungsserver wird nach Beobachtungsstudien davon ausgegangen, dass es während des Nordwinters bei El-Niño-Ereignissen auch einen schwachen Einfluss von ENSO auf den Nordatlantik und Europa gibt. Nach Modelluntersuchungen sind El-Niño-Ereignisse im Frühwinter mit einer Verstärkung der Nordatlantischen Oszillation (NAO) und einer zunehmenden Häufigkeit zonaler Wetterlagen verbunden. Nach Nordwest- und Nordeuropa sowie Teilen Mitteleuropas strömen dann relativ milde und feuchte atlantische Luftmassen ein, während die Mittelmeerregion relativ trocken bleibt. Diese Aussage korreliert sehr gut mit den derzeitigen Verhältnissen, die einen deutlich positiven NAO-Index zeigen. Entsprechend sind Islandtief und Azorenhoch überdurchschnittlich stark ausgeprägt, was zu einer kräftigen westlichen Strömung führt, die wiederum sehr milde Meeresluft ostwärts transportiert. Resultierend fallen im vieljährigen Vergleich die Temperaturen derzeit in weiten Teilen Europas spürbar zu hoch aus.
Dipl.-Met. Lars Kirchhübel
Deutscher Wetterdienst