Ist denn schon Frühling? Wo ist der Winter geblieben?

Rekordverdächtige Temperaturen beherrschen derzeit den deutschen Raum. Während in den letzten Tagen durch eine sehr ausgeprägte Inversionslage vor allem auf den Bergen teilweise Temperaturrekorde für den November purzelten (vgl. Thema des Tages vom 5. November), sorgt nun eine kräftige südwestliche Strömung auch im Tiefland für außergewöhnlich hohe Temperaturen.

Verantwortlich für die Zufuhr warmer Luft subtropischen Ursprungs ist die derzeitige Luftdruckverteilung über Europa. Während sich auf dem Atlantik ein großräumiger Tiefdruckkomplex um die Tiefs "Ziad" und "Albert" mit Kernen im Raum Island ausbilden konnte, der sich weit nach Süden teilweise bis in die Meeresregionen der Kanarischen Inseln erstreckt, dominiert auf dem Festland von Spanien über die Alpenregion hinweg bis nach Osteuropa Hoch "Ulrike". Zwischen beiden Druckgebilden konnte sich schließlich die kräftige südwestliche Strömung ausbilden, die die Luft direkt aus dem Meeresgebiet zwischen Portugal und den Kanarischen Inseln nach Deutschland transportiert. Da dort derzeit noch Wassertemperaturen von 20 bis 24 Grad vorherrschen, kann sich die Luft zudem auch wohltemperiert auf den Weg gen Norden machen. In Deutschland sorgt sie am heutigen Samstag verbreitet für sehr milde, teils auch warme Höchstwerte zwischen 14 und 20 Grad. Mit Sonnenunterstützung sind im Südwesten und Westen sogar Werte bis 22 Grad möglich. Damit steigen die Temperaturen am heutigen 7. November auf rekordverdächtige Werte an. In der Vergangenheit wurden lediglich in den Jahren 1955 und 1997 an einem 7. November im Süden Bayerns und Baden-Württembergs, meist mit Föhnunterstützung, Temperaturen über 22 Grad gemessen. Bezüglich des gesamten Novembers liegen die höchsten jemals gemessenen Werte sogar noch etwas höher. In Rosenheim wurden beispielsweise am 6. November 1997 25,9 Grad registriert. Abgesehen vom süddeutschen Raum wurde als Referenz zum Beispiel in Lippstadt-Bökenförde ein Novembermaximum von 23,2 Grad beobachtet.

Noch rekordverdächtiger war jedoch die Nacht auf den heutigen Samstag, den 7. November. Rückseitig einer durchschwenkenden Warmfront stiegen die Temperaturen entgegen dem Tagesgang weiter an und produzierten vor allem im Westen des Landes ungewöhnlich milde nächtliche Tiefstwerte. Den Spitzenwert im Messnetz des Deutschen Wetterdienstes (noch ohne Gewähr) lieferte die Station in Heinsberg-Schleiden mit einem Minimum von 15,9 Grad. Ein solch hohes Minimum hat es an einem 7. November oder später noch nie gegeben. Für den kompletten November wurden bisher nur an den Stationen Mittenwald (02.11. 1968, 17°C), Bad Harzburg (01.11.1968, 16,2°C) und Hamburg-Neuwiedenthal (01.11.1968, 16,0°C) jemals höhere Tiefstwerte beobachtet. In Nordrhein-Westfalen wäre mit dem Wert in Heinsberg-Schleiden der Allzeit-Novemberrekord von Duisburg-Baerl mit ebenfalls 15,9 Grad vom 1. November 1968 eingestellt.

Da sich auch in den kommenden Tagen an der Großwetterlage nur wenig ändert, bleibt der spätsommerliche oder auch frühlingshaft milde Witterungsabschnitt mit Temperaturen teilweise bis 22 Grad bestehen. Erst zum Wochenstart sinken die Höchstwerte geringfügig ab und liegen weitgehend unter der 20-Grad-Marke, jedoch weiterhin deutlich im zweistelligen Temperaturniveau. Verantwortlich dafür ist eine Zonalisierung der Strömung. Während sich das Hoch "Ulrike" mit Schwerpunkt etwas nach Westen verschiebt und sich von Portugal bis zum Balkan erstreckt, kann sich der tiefe Luftdruck nach Osten ausweiten. Nachfolgend dreht die Strömung von Südwest zunehmend auf eine westliche Komponente. Da jedoch die Wassertemperaturen vor Europas Westküste auch noch deutlich im zweistelligen Temperaturniveau liegen, können sich in Deutschland die Höchstwerte zunächst weiter zwischen 12 und 20 Grad halten. Vom Winter gibt es in Mitteleuropa also auch mittelfristig keine Spur.

Und wo ist der Winter nun geblieben?

Um wintertaugliche Temperaturen zu finden, muss man den Blick schon ziemlich weit nach Norden bzw. Nordosten werfen. Lediglich im Norden Schwedens und Finnlands sowie Teilen Nordwestrusslands liegen die Höchstwerte derzeit im leichten Frostbereich. Strenger Frost unter -10 Grad herrscht nur im tiefsten Sibirien. In Russlands Hauptstadt Moskau wurde beispielsweise am gestrigen Freitag, den 6. November, eine Höchsttemperatur von +4 Grad gemessen. In Helsinki waren es 7 Grad und in Stockholm sogar milde zweistellige 10 Grad.

Dipl.-Met. Lars Kirchhübel

Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 07.11.2015

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