Im Zuge des in diesem Jahr auftretenden El Nino-Ereignisses konnten in den Themen des Tages der vergangenen Wochen wiederholt Berichte über die erhöhte Tropensturmaktivität im West-/Zentral- und Ostpazifik nachgelesen werden. Dabei wurde immer wieder auf die jeweilige Intensität der tropischen Stürme hingewiesen. Doch wie genau findet diese Intensitätsabschätzung statt, da sich die Stürme meist über dem offenen Meer und abseits jeglicher Messstationen befinden?
Vor dem Zeitalter der Satelliten war die Vorhersage tropischer Wirbelstürme nur sehr schwer bis gar nicht möglich. Daher konnten sich auch Katastrophen wie die vom "Galveston-Hurrikan" im Jahr 1900 ereignen, wo ein Hurrikan die texanische Stadt Galveston überraschte und binnen weniger Stunden zerstörte. Diesem Sturm alleine fielen mehrere Tausend Menschen zum Opfer. Mit viel Glück konnten per Telegramm Informationen so schnell übermittelt werden, dass eine geringe Vorwarnzeit möglich war. Für eine Evakuierung ganzer Landstriche, wie es in der heutigen Zeit durchgeführt wird, reichte die Vorwarnzeit damals aber bei Weitem nicht aus. Erst mithilfe der ersten Satelliten in den späten 60er Jahren stand den operationell arbeitenden Meteorologen eine neue Möglichkeit zur Verfügung, die Vorhersagen zumindest für 24 Stunden entsprechend zu verbessern. Und hier trat ein Forecaster und Wissenschaftler in den Fokus, der in Washington, D.C. gearbeitet hat: Vernon Dvorak, der heute in Ojai, Kalifornien lebt.
Seine Herangehensweise, erstmals 1972 und 1973 in der Fachliteratur veröffentlicht, ist auf den ersten Blick eine einfache und es muss ausdrücklich betont werden, dass hier der Übersicht halber nur ein kleiner Teil der gesamten Vorhersagetechnik erklärt werden kann.
An Hand intensiver Beobachtungen - unter anderem durch Herrn Dvorak - wurde eine sogenannte "Wolkenmustererkennungstechnik" mit Hilfe von Satellitenbildern erstellt. Dabei stehen bestimmte Wolkenmuster für eine entsprechende Intensität eines tropischen Sturms. Die Intensität wiederum wurde zunächst bodennah anhand der mittleren maximalen Windgeschwindigkeit (1-min. Mittelwert), später anhand des Luftdrucks bestimmt. Man fragt sich nun sicherlich, wieso vom Satelliten abgebildete Wolkenstrukturen etwas über die Intensität eines Sturmes aussagen können. Dazu betrachten wir mal die "Grundpfeiler", auf denen sich diese Einteilung stützt:
Da wäre zunächst einmal der kinematische Ansatz, der sich aus dem Erscheinungsbild des eigentlichen Wirbels und der vertikalen Windscherung, also der Zunahme der Windgeschwindigkeit mit der Höhe, zusammensetzt. Je symmetrischer so ein Wirbel aussieht, umso organisierter ist er. Auch sein Durchmesser lässt auf Intensitätsentwicklungen Rückschlüsse zu, denn eine breite Zirkulation benötigt mehr Zeit um sich zu verstärken und zu organisieren verglichen mit einer kleinräumigen und kompakten Zirkulation. Ist zudem die Konvektion (thermisches Aufsteigen der Luft mit nachfolgender Wolkenbildung) vom Zentrum versetzt, dann deutet dies auf eine starke Windscherung hin, die dafür sorgt, dass sich die Konvektion nicht zentrumsnah halten kann. Sie müssen sich das so vorstellen, dass der Motor für einen tropischen Sturm in der Konvektion zu finden ist, die den Wirbel durch zentrumsnah auftretende Wolkenbildung (Kondensation) und die dabei frei werdende Energie antreibt. Verblasen die Winde diese Wolken, dann schwächt sich der Sturm ab und entsprechend kann dies an Hand von Satellitendaten erkannt werden.
Dann gibt es aber noch eine thermodynamische Herangehensweise, wo die Ausprägung der Konvektion/Wolkenbildung direkt ums Sturmzentrum betrachtet wird. Mal besteht diese nur aus kurzlebigen Ausbrüchen von hochreichender Konvektion (dies wird als "pulsierende" Konvektion bezeichnet), mal verschwindet das Zentrum unter einem massiven Konvektionswolkenschirm, wobei Letzteres auf stetige Verstärkung hindeutet. Sollte sich ein "Auge" ausgebildet haben, dann kann auch die Temperaturdifferenz zwischen dem warmen Auge, in dem die Luft absinkt und sich erwärmt, und der niedrigeren Temperatur der das Auge umgebenden Konvektion auf die Intensität hindeuten. Je stärker diese Temperaturgegensätze ausfallen, desto intensiver ist der Sturm. Ein Beispiel vom 29. August 2015 finden Sie unter www.dwd.de/tagesthema.
All diese Informationen fließen letztendlich in die Mustererkennung ein. Diese Erkennung beginnt bei einem schwachen, unorganisiert ausschauenden Gewittergebiet und endet bei einem intensiven Hurrikan/Taifun/Zyklon mit einem symmetrischen und sehr kalten Konvektionsbereich um das sehr warme Auge herum. Jedem dieser Muster wird eine bestimmte Nummer, eine sogenannte tropische (T) Nummer, zugewiesen, die wiederum für eine entsprechende Stärke des mittleren Windes und des Kerndrucks des Tropensturms steht. T1 ist sehr schwach, T8 sehr stark.
Es gibt gewisse Grenzen für diese Technik. So können nämlich sehr ähnlich erscheinende Wolkenmuster bei unterschiedlichen Windgeschwindigkeiten auftreten, da noch weitere meteorologische Parameter einen Einfluss auf die Stärke des Sturmes ausüben. Zudem ist dies eine subjektive Mustererkennung, sodass die einzelnen Forecaster die Satellitenbilder unterschiedlich interpretieren, was sich auf die Intensitätseinstufung auswirkt. Tropische Wirbelstürme treten auch nicht immer direkt unter einem Satelliten auf, sondern können sich so entwickeln, dass der Satellit von der Seite in einem flachen Winkel auf diese schaut. Dadurch kann zum Beispiel ein Auge mit einem kleinen Durchmesser teils gar nicht oder nur sehr ungenau aufgelöst werden.
Dennoch muss gesagt werden, dass diese Technik seit 30 Jahren sehr erfolgreich im Vorhersagedienst in den Tropen rund um den Globus angewandt und fortwährend angepasst wird. Mittlerweile finden auch regionale Anpassungen statt, sodass die ursprüngliche Dvorak-Technik mit teils unterschiedlichen Regeln weltweit Anwendung findet. Verifizierungen anhand von Messflügen (Nordatlantik und Ostpazifik) zeigen, dass die Dvorak-Technik bei den meisten Stürmen ziemlich genau die Windgeschwindigkeit anzeigt und man darf erwarten, dass sie sich noch bis weit in das 21. Jahrhundert halten wird. Entsprechend können auch in Zukunft dank dieser Technik durch Katastrophenschutzmaßnahmen Evakuierungen frühzeitig durchgeführt und unzählige Menschenleben gerettet werden!
Dipl.-Met. Helge Tuschy
Deutscher Wetterdienst