Lange wurde das "Christkind" (spanisch: El-Niño) vorhergesagt, nun ist es mit voller Wucht eingetreten und wird voraussichtlich auch noch länger anhalten. Aufbauend auf das Thema des Tages vom 9. August, in dem die sogenannte Walker Zirkulation und deren Schwankungen beschrieben wurde, soll nun das derzeitige El-Niño-Ereignis näher betrachtet werden.
Schon zur Jahresmitte 2014 prognostizierten die Experten ein El-Niño-Ereignis spätestens zum Nordwinter 2014/15. Doch die Oberflächenwassertemperaturen belegen, dass El-Niño erst in diesem Frühjahr so richtig Fahrt aufgenommen hat und das Meerwasser bis vor die Küste Perus und Chiles deutlich erwärmt. Derzeit werden über den kompletten tropischen Pazifik hinweg positive Abweichungen der Oberflächenwassertemperaturen zwischen 1 und 2,7 Grad verzeichnet. Die größte Anomalie wird dabei vor den Küsten Perus und Chiles beobachtet.
Als Maß für die Bewertung und Vorhersage der "El-Niño-Southern-Oscillation (ENSO)" wird beispielsweise der sogenannte "Ozean Niño Index (ONI)" verwendet, der auf den mittleren dreimonatigen Abweichungen der Oberflächenwassertemperaturen in der Niño3.4 Region (170° W bis 120° W, 5° S bis 5° N) basiert (vgl. Abbildung 1). Als Referenz dienen verbesserte und homogene historische Analysen der Oberflächenwassertemperatur für den 30-jährigen Zeitraum zwischen 1981 und 2010. Ein El-Niño-Ereignis ist dabei durch einen positiven ONI größer oder gleich 0,5 Grad definiert. Bei einem La Niña-Ereignis liegen ONI-Werte kleiner oder gleich -0,5 Grad vor. Für die Monate April, Mai und Juni 2015 wurde für die Niño3.4 Region als aktueller ONI-Wert eine positive Abweichung der Oberflächenwassertemperatur von 0,9 Grad festgestellt. Insgesamt konnte man seit Februar eine positive Abweichung größer oder gleich 0,5 Grad beobachten. Letztmals wurden für die Monate März bis Mai 2010 ähnliche Anomalien gemessen. Aktuelle Messungen zeigen für Ende Juni sogar eine positive Abweichung der Wassertemperatur von etwa 1,4 Grad.
Laut den Modellprognosen ist jedoch der Höhepunkt des derzeitigen El-Niño-Ereignisses wohl noch nicht erreicht. Demnach soll der ONI im Mittel über alle Modellläufe (gesamtes Ensemble) auf eine Temperaturanomalie von etwa 2,2 Grad in den Monaten Oktober, November und Dezember 2015 noch steigen und im Anschluss auch nur langsam wieder absinken. Selbst für die Monate März bis Mai 2016 wird noch eine positive Wassertemperaturabweichung von 1 Grad vorhergesagt. Entsprechend liegt die Wahrscheinlichkeit von El-Niño-Bedingungen im tropischen Pazifik bis ins Frühjahr 2016 bei über 80% (vgl. Abbildung 2).
Da El-Niño ein großräumiges meteorologisches Phänomen im äquatorialen Pazifik ist und somit einen wesentlichen Einfluss auf die zentralen Zirkulationssysteme hat, können dem "Christkind" nahezu weltweit meteorologische Auswirkungen zugeschrieben werden. Der Nachweis wird über statistische Untersuchungen geführt und hat bislang deutliche Auswirkungen vor allem für den nördlichen Pazifik und Nordamerika bestätigt. Weniger deutliche Wechselwirkungen sind zwischen ENSO und dem Nordatlantik sowie Europa bekannt.
Meist kommt es bei einem El-Niño-Ereignis über dem Pazifik und an der Westküste Südamerikas zu starken Niederschlägen. Im Gegenzug dazu herrscht im westlichen äquatorialen Pazifik, wo normalerweise reichliche Niederschläge fallen, außergewöhnliche Trockenheit. Auch in Südostasien und Australien bleibt es als Folge des "Christkindes" verhältnismäßig trocken und warm, sodass häufig Dürren auftreten. Als Fernfolge von El-Niño überwiegen z.B. im Bereich des Amazonas, wo normalerweise typisch tropisch-feuchte Verhältnisse herrschen, nun längere trockene Phasen. Auch in Südafrika ist das "Christkind" durch eine überdurchschnittlich warme und sehr trockene Witterung spürbar. Im südlichen Teil von Nordamerika zieht die El-Niño-Phase dagegen meist ein feuchtes und kühles und im Nordwesten ein überdurchschnittlich warmes Wetter nach sich (vgl. Abbildung 3). Ein Blick auf die Wetterbedingungen von Mai, Juni und Juli für Nordamerika zeigt die typischen El-Niño-Eigenschaften. Während es an der Westküste, vom südlichen Kalifornien bis nach Mexiko, bei unterdurchschnittlichen Temperaturen ergiebig regnete und teilweise 400 bis 800 Prozent des Niederschlags im vieljährigen Mittel verzeichnet wurden, fiel die Witterung im Nordwesten und Osten der USA bei eher trockenen Verhältnissen deutlich zu warm aus. Im südlichen Afrika war es vor allem im Mai entsprechend der El-Niño-Prognosen deutlich zu warm. Auch der Juni und Juli zeigen, abgesehen von den Küstengebieten, überdurchschnittliche Temperaturen. In Südostasien zeigen vor allem der Juni und Juli deutliche positive Temperaturabweichungen bezüglich des vieljährigen Mittels.
Ob und in welcher Größenordnung sich das derzeitige El-Niño-Ereignis auf das Wetter in Deutschland auswirkt und die nun schon länger anhaltende Hitze in der Mitte und im Süden des Landes darauf zurückzuführen ist, konnte noch nicht nachgewiesen werden. Weltweit gesehen mehren sich nach Aussagen der NASA-Forscherin Nieves sowie der US-amerikanischen Ozean- und Atmosphärenbehörde NOAA die Anzeichen, dass das derzeitige sehr starke El-Niño-Ereignis einen neuen globalen Wärmerekord bringen könnte, nachdem bereits 2014 das bislang wärmste Jahr seit Aufzeichnungsbeginn war. Entsprechend der NOAA war zumindest der Juni 2015 mit durchschnittlich 16,33 Grad im globalen Mittel schon der heißeste Juni seit Beginn der Wetteraufzeichnungen vor 136 Jahren!
Dipl.-Met. Lars Kirchhübel
Deutscher Wetterdienst