Wenn Wolken nachts erstrahlen

"Eine sichtbare Ansammlung winziger Wassertröpfchen und/oder Eispartikel in der Atmosphäre über der Erdoberfläche". So lautet die schlichte Wolkendefinition im Glossar des Deutschen Wetterdienstes oder der American Meteorological Society. Dies ist jedoch eine rein wissenschaftliche Betrachtungsweise der Bewölkung in der Troposphäre (die unterste Schicht der Atmosphäre). Wir Menschen sehen dieses Phänomen häufig mit anderen Augen, nicht selten fasziniert von der Vielfalt an Strukturen mit einem teils drohenden oder gar romantischen Erscheinungsbild. Mal hat man den Eindruck, man könne die regenträchtigen Wolken mit der Hand erreichen, mal erscheinen sie uns in Höhen von bis zu 12 km in unerreichbarer Ferne. Wolken begleiten uns meist tagtäglich durch unser Leben, scheinen teils bewegungslos am Himmel zu verharren oder brausen über die Landschaft und nicht selten lösen sie sich nach Sonnenuntergang mit nachlassender Kraft der einfallenden Sonnenstrahlen wieder auf und geben den Blick auf den nächtlichen Sternenhimmel frei. Doch zu einer bestimmten Jahreszeit und zu nächtlicher Stunde können Wolken auftreten, die sich dem bisher beschriebenen Verhalten entziehen. Sie bilden sich in einem gänzlich anderen Bereich unserer Atmosphäre und erlangen ihre leuchtende Wirkung auch erst nach Einfall der Nacht: die sogenannten "leuchtenden Nachtwolken (engl.: "noctilucent clouds"). Die Kollegin Julia Fruntke konnte dieses Phänomen im Sommer des letzten Jahres beobachten, zu sehen unter www.dwd.de/tagesthema. Doch in welcher Umgebung und wie genau entwickeln sich solche Wolken?

Eisig! Dieses Wort umschreibt wohl die "Wohlfühltemperatur" der leuchtenden Nachtwolken am besten, denn sie treten in einem Höhenbereich von 80 bis 85 km auf, wo die Temperaturen im Mittel bei -90 Grad, teils jedoch deutlich unter -120 Grad verharren. Dabei befinden wir uns bereits weit jenseits der wetteraktiven Zone unserer Atmosphäre, der uns allen bekannten Troposphäre. Nein, wir sprechen über die oberen Bereiche der sogenannten Mesosphäre, die durch die Mesopause von der darüber liegenden Thermosphäre abgegrenzt wird, welche wiederum bereits fließend in den Weltraum übergeht. Solch eisige Temperaturen sind auch von Nöten, denn dieser Bereich der Atmosphäre weist nur einen sehr geringen Wasserdampfanteil auf. Damit sich solche Wolken entwickeln können, bedarf es der extrem kalten Temperaturen von unter -120 Grad, die jedoch zeitlich und räumlich nur sehr begrenzt auftreten, nämlich dank komplexer thermodynamischer Vorgänge von Mai bis August.

Doch niedrige Temperaturen allein können die Bildung dieser Wolken noch nicht erklären, denn es müssen ja auch gewisse Kondensationskerne vorhanden sein, die dafür sorgen, dass sich die Eispartikel an diesen ablagern können. Hierzu hat die Wissenschaft mehrere Antworten parat. Weiterhin gilt die Vermutung, dass nach besonders intensiven Vulkanausbrüchen die Asche ausreichend hoch in diesen Bereich der Atmosphäre geschleudert werden kann, wurden doch die ersten leuchtenden Nachtwolken nach dem Ausbruch des Krakatau (Indonesien) im Jahr 1885 beobachtet. Die Hauptverursacher jedoch scheinen vor allem verglühende Meteoroide zu sein, die entsprechende Kondensationskerne in Form von Staubpartikeln in diesen Atmosphärenbereich einbringen. Ist das nicht eine faszinierende Vorstellung, dass die aus den Tiefen des Weltraums und nach einer aus unserer Zeiterfassung nicht rational erfassbaren Reisezeit eintreffenden und rasch zerfallenden/verglühenden Gesteinsbrocken die Grundlage für die Bildung dieser mystisch ausschauenden Wolken bilden?

Untersucht werden diese Wolken übrigens zum Beispiel am Leibniz-Institut für Atmosphärenphysik (IAP) in Kühlungsborn, wo dieses Phänomen entweder aktiv mit Hilfe von LIDARs (Light Detecting and Ranging, wo Laserimpulse ausgesandt werden und das aus der Atmosphäre zurückgestreute Licht detektiert wird) oder passiv mit Kameras beobachtet und untersucht wird.

Die Eiswolken sind natürlich auch tagsüber vorhanden, jedoch kann man sie aufgrund des Sonnenlichtes nicht erkennen, sodass man abwarten muss, bis die Sonne hinter dem Horizont verschwunden ist. Der Literatur entsprechend reicht dabei bereits ein Sonnenstand von 6° unter dem Horizont aus, dass man die Wolken erkennen kann, wobei die besten Bedingungen, sprich die strahlendsten Wolken, bei einem Sonnenstand von 10-12° unterhalb des Horizonts auftreten. Dann ist der Himmel bereits dunkel genug um die Wolken zu erkennen, die jedoch noch von der Sonne angestrahlt werden. Die bläuliche Farbgebung erklärt sich daraus, dass die Eispartikel den grünen, blauen und violetten Anteil streuen, wobei der bevorzugte blaue Anteil letztendlich den für den Betrachter "bläulichen Stich" ergibt. Derweilen wurden die Farbanteile rot und vor allem orange bereits beim Durchqueren der Stratosphäre mithilfe des Ozons absorbiert. Somit kann man in den genannten Sommermonaten zwischen dem 50. und 65. Breitengrad immer wieder diese märchenhaft anmutenden zarten, bläulichen Schleier erkennen. Diese können in Norddeutschland von Anfang Juni bis Mitte Juli auch die gesamte Nacht über sichtbar sein, da die Nachtwolken nie in den Erdschatten gelangen. Nördlich des 65. bis 70. Breitengrads wiederum sinkt die Sonne nicht tief genug, um den Blick auf diese Wolken freizugeben.

Auch in diesem Jahr gab es bereits die ersten Sichtungen, wie z.B. vom 6. auf den 7. Juni 2015 im Norddeutschen Tiefland. Leider spielt das Wetter in den kommenden Tagen deutschlandweit nur bedingt mit, denn wiederholt durchziehende Tiefausläufer sorgen mit dichten Wolken für geringe Chancen, dass man die Nachtwolken erblicken kann. Doch sollten Sie mal nach Sonnenuntergang oder vor Sonnenaufgang unterwegs sein, dann lohnt sich gewiss ein Blick in Richtung Himmel und vielleicht werden Sie ja Zeuge dieses Naturschauspiels. Ich drücke Ihnen die Daumen!

Dipl.-Met. Helge Tuschy

Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 18.06.2015

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