Einblick in die Wolken

Niederschlag kann in den unterschiedlichsten Formen auftreten, beispielsweise als Nieselregen mit kleinen oder Regen mit großen Tropfen, als Schnee oder Graupel oder in Verbindung mit Gewittern in Form von Hagel. Die genaue Vorhersage der Niederschlagsform stellt für Meteorologen jedoch oft eine Herausforderung dar.

Moderne Radarsysteme bieten die Möglichkeit "in die Wolken hinein zu schauen", um den Niederschlag näher zu charakterisieren. Radarsysteme senden einen sehr kurzen, elektromagnetischen Impuls im Mikrowellenbereich aus, der von Streukörpern (zum Beispiel Niederschlags- oder Staubpartikel, Insekten, etc.) in Teilen reflektiert und vom Radarstandort wieder erfasst wird. Über die Laufzeit des Signals, das sich nahezu mit Lichtgeschwindigkeit ausbreitet, lässt sich zum Beispiel beim Niederschlagsradar die Entfernung der Streupartikel feststellen. Die Stärke des zurückgestreuten Signals lässt indirekte Rückschlüsse auf die Niederschlagsart und vor allem auf die Intensität zu. Die Eigengeschwindigkeit der Streukörper relativ zum Radarstandort lässt sich mithilfe eines Dopplerradars erfassen (siehe Thema des Tages vom 30.03.2015).

Um eine genauere Vorhersage der Art und Größe der Niederschlagspartikel sowie der Intensität des Niederschlags zu ermöglichen, werden die Radarstandorte des Deutschen Wetterdienstes zurzeit auf sogenannte dualpolarimetrische Radarsysteme umgerüstet. Beim Dualpolarisationsradar spielt die sogenannte Polarisation des ausgesendeten Impulses eine maßgebliche Rolle. Aber worum handelt es sich bei der Polarisation genau und wie funktioniert ein solches dualpolarimetrisches Radarsystem?

Beschreiben wir den vom Radargerät ausgesendeten Impuls als schwingende Welle mit gleichmäßigen Wellenbergen und -tälern, so kann bei einem dualpolarisierten Impuls zwischen einem horizontal und einem vertikal schwingenden Signal unterschieden werden (siehe obere linke Abbildung). Während der ausgesendete Impuls beim einfachen Polarisationssradar nur eine horizontale Schwingungsrichtung aufweist, werden beim Dualpolarisationsradar gleichzeitig vertikal und horizontal polarisierte Impulse ausgesendet. Damit lassen sich zusätzliche Informationen über bestimmte Eigenschaften der Streukörper gewinnen.

Da große Regentropfen beispielsweise im Vergleich zu Schneekristallen oder Hagel durch den Luftwiderstand beim Fallen eine ovale, abgeplattete Form besitzen und somit breiter als hoch sind, weisen die zurückgestreuten horizontal polarisierten Impulse eine höhere Intensität als die vertikal polarisierten Impulse auf. Über das Verhältnis der zurückgestreuten Intensität beider polarisierten Impulse lässt sich dann eine Aussage über die horizontale bzw. vertikale Ausdehnung des Streukörpers treffen und somit zwischen verschiedenen Körperformen unterscheiden.

Unterschiede in den physikalischen Eigenschaften von Wasser und Eis, wie zum Beispiel der Durchlässigkeit von elektromagnetischen Signalen (dielektrische Leitfähigkeit) und der Dichte beider Stoffe wirken sich ebenfalls auf die Impulse aus. Der Vergleich von mehreren hintereinander ausgesendeten, polarisierten Impulsen zeigt die zeitliche Änderung der räumlichen Orientierung der Streukörper. Diese räumliche Orientierung ändert sich bei fallenden Regentropfen kaum über die Zeit, wohingegen bei Eis-Wasser-Mischungen wie z.B. Hagel beim Fallen taumelnde Bewegungen registriert werden.

Kombiniert man diese Größen mit der vom Niederschlagsradar gemessenen Intensität des zurückgestreuten, polarisierten Impulses, lassen sich die verschiedenen Niederschlagsarten aufgrund der unterschiedlichen Konsistenz, Größe und Form der Niederschlagspartikel voneinander trennen. Trägt man die verschiedenen Informationen aller ausgewerteten Impulse zusammen, erhält man für diesen Radarstandort ein flächendeckendes Bild der Niederschlagsarten.

Bei der Interpretation der Radarbilder des Polarisationsradars ist jedoch Vorsicht geboten: Die dargestellten Informationen können aus unterschiedlichen Höhen stammen. Aufgrund der schrägen Abstrahlung vom Radar trifft der Radarstrahl mit zunehmender Entfernung vom Standort auf Streukörper in größeren Höhen. Es wird also keine Aussage darüber gemacht, welchen Eigenschaften die Niederschlagspartikel am Boden besitzen, sondern in der Höhe, in der sie vom Radarstrahl getroffen werden. Entsprechend muss bei der Abschätzung der Niederschlagsform immer die Angabe zur Höhe des abtastenden Radarstrahls berücksichtigt werden.

Derzeit laufen im DWD Entwicklungsarbeiten um auf Basis der neuen Dual-Polarisierungstechnologie Radarprodukte bereitzustellen, die in der operationellen Wettervorhersage genutzt werden können. Um einen kleinen Vorgeschmack zu bieten, werden im heutigen Thema des Tages Abbildungen aus der Forschungsabteilung des Deutschen Wetterdienstes am Beispiel des 13.05.2015 gezeigt. An diesem Tag zogen von Frankreich her heftige Gewitter nach Deutschland, die in Freiburg am Abend gegen 20:50 Uhr mit bis zu 5 cm großem Hagel auftraten (siehe violette Pixel innerhalb der roten Markierung in den Abbildungen).

Die Niederschlagsform ist in der rechten unteren Abbildung dargestellt, darüber wird der gleiche Zeitpunkt in einem vergrößerten Ausschnitt gezeigt. Die Einfärbung entspricht jeweils einer bestimmten Niederschlagsart, die der Legende zu entnehmen ist. Die linke untere Abbildung zeigt die Höhe, in der die Streukörper den abtastenden Radarstrahl reflektieren. Die Einfärbung steht hier für die entsprechende Höhe, die Werte in Meter sind der Legende zu entnehmen. Die Dualpolarisationsradare bieten demnach für den Deutschen Wetterdienst ein großes Potenzial, um in den nächsten Jahren noch präzisere Wettervorhersagen- und Warnungen für die Öffentlichkeit bereitzustellen.

M.Sc.-Met. Sebastian Schappert

Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 09.06.2015

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