Zwei Tage nach den zum Teil schweren Gewittern in der Nordhälfte Deutschlands geht es vielerorts noch darum, die Schäden zu beseitigen - und das, was passierte, zu analysieren. Denn gerade den Tornados, die zwar besonders schadensträchtig sind, sich aber meist nur sehr kleinräumig auswirken, gebührt besondere Aufmerksamkeit bei der Nachbetrachtung der Unwetter. Handelt es sich bei den Verdachtsfällen tatsächlich um einen Tornado, oder sind die Schäden durch andere Wetterphänomene verursacht worden?
Am Dienstag, den 5. Mai 2015, zog eine markante Gewitterlinie über weite Teile Norddeutschlands hinweg. Heftiger Starkregen, mitunter großkörniger Hagel bis 5 cm und schwere Sturmböen waren mit von der Partie. Vereinzelt traten sogar Orkanböen auf. In die Gewitterlinie eingebettet waren besonders intensive Gewitterzellen, sogenannte Superzellen. Aufgrund der ganz spezifischen Struktur dieser Gewitter besteht dort, wo eine solche Superzelle aufzieht, eine besonders hohe Tornadogefahr.
Insgesamt fünf Tornado-Verdachtsfälle wurden seit Dienstag allein über Deutschland auf unterschiedlichsten Wegen gemeldet (siehe die Übersichtskarte auf www.dwd.de/tagesthema). In zwei Fällen wurde eine rotierende Luftsäule, die von der Wolke bis zum Erdboden reicht (nur dann ist es de facto ein Tornado), per Foto oder Video festgehalten. Meist handelt es sich aber um Augenzeugenberichte, zum Teil existieren Fotos und Videos von dem durch den vermeintlichen Tornado verursachten Schaden. In letzteren Fällen müssen für die Aufklärung zwingend weitere Recherchen und Untersuchungen der Schäden folgen.
Die Tornadoschäden sind recht spezifisch und unterscheiden sich von Schäden, die beispielsweise den auch fernab eines Tornados auftretenden Sturm- oder Orkanböen zuzuordnen sind. So verursachen Tornados vielfach eine Schneise der Verwüstung, die in Extremfällen viele Kilometer lang, teilweise aber auch unterbrochen sein kann. Außerhalb dieser Schneise sind die Schäden deutlich geringer, mitunter lassen sich sogar keine Schäden finden. Ganz typisch sind auch unterschiedliche Fallrichtungen von Bäumen und die sehr weite Verfrachtung von Gegenständen.
Zwei der fünf Verdachtsfälle gelten bereits als bestätigt. Nahe Rampe bei Schwerin in Mecklenburg-Vorpommern wurde um 18:20 Uhr ein Tornado gefilmt. Der Bodenkontakt der rotierenden Luftsäule erscheint durch die auf dem Video deutlich sichtbaren Aufwirbelungen von Material als gesichert. Gut zwanzig Minuten später ereignete sich ein weiterer Tornado in einem Gebiet zwischen Schwerin und Rostock, der weitaus häufiger und besser dokumentiert wurde. Der Tornado zog unter anderem durch die Kleinstadt Bützow und sorgte dort für verheerende Schäden.
Noch unklar sind die weiteren drei Fälle in Ganderkesee (Niedersachsen, ca. 16 Uhr), Groß Laasch und Kreien (beide Mecklenburg-Vorpommern zwischen 18:20 und 18:40 Uhr). Darüber hinaus ist noch nicht gesichert, ob es sich wirklich um weitere drei voneinander unabhängige Tornadoereignisse handelt. Es ist durchaus denkbar, dass es sich bei den Fällen Groß Laasch und Kreien um einen "springenden" Tornado handelte, der keine durchgehende, sondern eine unterbrochene Schneise verursachte. Es ist nicht auszuschließen, dass dies auch für die beiden bestätigten Meldungen Rampe und Bützow gilt. Denn hier war ein und dieselbe Superzelle Geburtsstätte der beiden Tornados.
Es liegt also noch viel Arbeit vor den Experten, die sich die Aufklärung von Tornado-Verdachtsfällen auf die Fahne geschrieben haben. Die Liste der Verdachtsfälle scheint in den nächsten Tagen wenigstens nicht länger zu werden. Zwar muss immer wieder mal mit Schauern und kurzen Gewitter gerechnet werden, diese werden allerdings nicht so heftig ausfallen wie am vergangenen Dienstag.
Dipl.-Met. Adrian Leyser
Deutscher Wetterdienst