Man sieht sich immer zweimal im Leben...

... heißt es gemeinhin auf Erden, doch auch in der uns umgebenden Atmosphäre scheint dieses Sprichwort im wahrsten Sinne des Wortes Anwendung zu finden.

Waren Sie am vergangenen Sonntag zufällig an der Nordsee und haben sich gewundert, warum es am Vormittag trotz Hochdruckeinflusses so lange grau in grau blieb, während im großen Rest des Landes die Sonne bereits ab den Morgenstunden ordentlich "Gas" geben konnte. Nun, um diese Frage beantworten zu können, müssen wir uns in etwas höhere Luftschichten begeben, sagen wir mal in etwa 5,5 km Höhe, was in der Meteorologie als klassisches Niveau zur Erklärung physikalischer Prozesse in der Atmosphäre gilt. Dort war es am Sonntagvormittag im Nordseeumfeld nämlich nicht ganz so gut bestellt um den Hochdruckeinfluss. Vielmehr konnte man auf den Wetterkarten ein kleines, aber sehr gut ausgeprägtes Tief (ein sogenanntes Höhentief) ausmachen, das von Norwegen kommend über die Nordsee in Richtung England zog. Okay, so dachte man (wenn man denn von diesem Tief überhaupt wusste), als am Nachmittag mehr und mehr die Sonne zum Vorschein kam, "dat Ding" ist jetzt abgezogen und damit "gut ist" - denkste Puppe! Keine drei Tage später, nämlich am gestrigen Mittwoch, war es vor allem am Vormittag in Teilen Norddeutschlands erneut stark bewölkt und an der einen oder anderen Stelle regnete es sogar etwas - bei einem auf Meeresniveau reduzierten Luftdruck von etwa 1025 hPa, was gemeinhin als Hochdruck bezeichnet werden kann. Was war passiert? Etwa wieder so ein Höhentief? - Richtig, Volltreffer! Aber nicht irgendein Höhentief, sondern DAS Tief, das am Sonntag über die Nordsee gezogen war.

Leisten wir uns einen kurzen Exkurs über die Genese und die Lebensgeschichte dieses Höhentiefs, das von uns Meteorologen auch als Kaltlufttropfen (KLT) bezeichnet wird. Dabei handelt es sich, wie gesagt, um ein kleines abgeschlossenes Tief, das in der großräumigen Strömungsverteilung wie ein kleiner Tropfen aussieht, der zudem mit kalter Luft angefüllt ist. Wie tief dabei die Temperaturen in den verschiedenen Höhenschichten sind, spielt absolut betrachtet keine so große Rolle. Wichtig ist, dass sie im Tief, relativ zur Umgebung betrachtet, niedriger sind. Wichtig für einen KLT ist auch die Tatsache, dass er sich nicht im Bodendruckfeld abbildet. D.h., wenn man sich eine klassische Wetterkarte mit Isobaren (Linien gleichen Bodenluftdrucks) anschaut, findet man kein abgeschlossenes Bodentief.

Doch zurück zu unserem speziellen Exemplar. Als seine Geburtsstunde kann etwa der vergangene frühe Freitagmorgen angesehen werden, als man in den Höhenwetterkarten einige hundert Kilometer südwestlich von Island eine kleine Anomalie (ein sogenannter Höhentrog) in der südwestlichen Höhenströmung erkennen konnte. Kurze Zeit später - etwa bei Island - löste sich diese Anomalie aus der eigentlichen Strömung und zog im weiteren Verlauf als kleines "Ei" zunächst mal gen Osten, bevor es über Norwegen erst nach Süden, später dann nach Westen abbog. Es folgte eine Umrundung Großbritanniens mit erneutem Ziel Norwegen, von wo aus der KLT via Dänemark schließlich Deutschland erreichte. Eine Grafik mit der kompletten Zugbahn des KLT vom letzten Freitag bis heute Donnerstag in 12-Stunden-Schritten findet man rechts unter "Thema des Tages" [mehr]. Übrigens, während des gesamten Zeitraums lag über der Nordsee und dem südlichen Europäischen Nordmeer ein Hochdruckgebiet (blaues "H" in der Grafik gibt den mittleren Schwerpunkt des Hochs an). Es diente quasi als Steuerungsmodul für den KLT, der das Hoch schließlich anderthalb mal umrundete, was beachtlich und in der Meteorologie nicht alltäglich ist.

Mit knapp einer Woche hat unser KLT - gemessen an anderen Vertretern seiner Zunft - inzwischen auch schon ein stattliches Alter erreicht, was ebenfalls nicht selbstverständlich ist. Die noch nicht überbordend fortgeschrittene Jahreszeit (im Hochsommer wäre es schwerer, so alt zu werden) sowie die vergleichsweise lange Verweilzeit über den noch recht kalten Wasserflächen der Nordsee und des Nordmeers waren seiner Zähigkeit sicherlich sehr zuträglich. Wie auch immer, nachdem der KLT - nomen est omen - am Mittwoch besonders in der Mitte für arg unterkühlte Verhältnisse (Thüringen, Sachsen und Nordostbayern z.T. nur einstellige Tageshöchstwerte) mit vielen Wolken und sogar etwas Regen gesorgt hat, beehrt er heute Teile Bayerns mit einzelnen Schauern, vielleicht auch einem kurzen Gewitter. Danach ist dann aber "Schluss mit lustig", wenn der KLT in der Nacht zum Freitag unter ganz allmählicher Abschwächung via Österreich gen Slowenien und dann weiter Richtung Balkan zieht, wo er sich am Wochenende unter weiterem Verlust seiner Konturen wahrscheinlich irgendwann auflöst - nach einer bemerkenswerten Vita.

Dipl.-Met. Jens Hoffmann

Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 23.04.2015

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