Das "Berliner Phänomen" Viele Menschen in Deutschland wünschen sich einen Winter, der seinem Namen gerecht wird und mit mehrheitlich kalten und schneereichen Tagen aufwartet. Doch gerade in den maritim geprägten Regionen Europas bleibt dieser Wunsch oft ungehört. Zwischen tiefem Luftdruck im Norden und hohem Luftdruck im Süden stellt sich über die Wintermonate immer wieder eine Westströmung ein, mit der Tiefdruckausläufer mit Regen und vornehmlich milde Luftmassen herangeführt werden. "Wann wird es denn endlich wieder richtig Winter?" - so oder so ähnlich treten während dieser milden Westwindwetterlagen viele Menschen an uns Meteorologen heran. Manchmal heißt es aber auch einfach nur "macht mal besseres Wetter", auch wenn diese Aufforderung in den meisten Fällen natürlich keine wirklich ernst gemeinte ist. Ob uns der Wunsch nach Winterwetter nun als ernst gemeinte Frage oder doch eher als schnippische Aufforderung erreicht, wir machen uns in jedem Fall Gedanken darüber. Allerdings stehen die Meteorologen vor einem Dilemma. Mal abgesehen davon, dass wir weit davon entfernt sind, das "Wetter machen" zu können, sind unsere Wettermodelle für eine längerfristige Wettervorhersage nur bedingt zu gebrauchen. Mit zunehmendem Vorhersagezeitraum wird die Trefferquote einer Vorhersage immer schlechter. So sehr wir also einen Wintereinbruch verkünden wollen, sofern sich dieser nicht kurz- oder mittelfristig in den Wettermodellen ankündigt, bleibt uns keine Wahl, als die "Winterliebhaber" zu vertrösten. Nicht ganz ... Es gibt durchaus noch andere Hilfsmittel, um über den seriösen Vorhersagezeitraum der Wettermodelle hinaus noch gewisse Trendaussagen über den weiteren Wetterverlauf machen zu können. Eines dieser Hilfsmittel versteckt sich unter dem Begriff "Berliner Phänomen". Es beschreibt plötzliche thermische und dynamische Veränderungen in der Stratosphäre (im Mittel ca. 10 bis 50 km Höhe) über den polaren Breiten der Nordhemisphäre während der Wintermonate. Richard Scherhag dokumentierte das Phänomen erstmals im Januar 1952 über Berlin, daher auch der Name. Im Winter kühlt sich die Stratosphäre aufgrund der maximal nur sehr flach einfallenden und kaum "wärmenden" Sonnenstrahlung stetig ab. In etwa 20 Kilometer Höhe beträgt die durchschnittliche Temperatur dann nur noch rund -70 Grad Celsius. Als Folge dessen bildet sich ein Polarwirbel aus, sozusagen ein "kaltes Tiefdruckgebiet", an dessen Südflanken starke Westwinde auftreten. In unregelmäßigen Abständen ereignet sich aber eine plötzliche Erwärmung von zum Teil mehr als 50 Grad in einigen Bereichen der Stratosphäre (ein Beispiel vom Januar 2013 finden Sie rechts auf www.dwd.de unter "Thema des Tages" und "[mehr]"). Die Ursache sind komplizierte und auch noch nicht vollends verstandene physikalische Prozesse, die ihren Ursprung in der Troposphäre haben und sich bis in die Stratosphäre auswirken können. Die Erwärmung führt zu Veränderungen in der Druck- und Strömungsverteilung in der polaren Stratosphäre, bis hin zu einem Zusammenbrechen des Polarwirbels. Dabei können die Winde an dessen Südflanke vorübergehend von westlichen auf östliche Richtungen drehen. Diese Veränderungen in der Stratosphäre wirken sich wiederum auf die Troposphäre aus. Zwar sind die genauen Wechselwirkungen noch nicht zufriedenstellend erforscht, jedoch zeigen die langjährigen Beobachtungen, dass eine stratosphärische Erwärmung mit gewisser Verzögerung auch eine Umstellung der Wetterlage begünstigen kann. In vielen Fällen erfolgte eine Umstellung von einer zonal (entlang der Breitengrade) orientierten hin zu einer eher meridional (entlang der Längengrade) orientierten Zirkulation. Häufig stellte sich dadurch winterliches Wetter in Mitteleuropa mit dem Vordringen kalter Festlandsluft ein. Zu unterscheiden ist noch ein nur etwa alle zwei Jahre auftretendes "Major Warming" (sehr starke Stratosphärenerwärmung) und ein mehrfach in jedem Winter auftretendes "Minor Warming" (schwächere Stratosphärenerwärmung). Letzteres beeinflusst die Druck- und Strömungsverhältnisse in der Stratosphäre in deutlich geringerem Maße und führt demnach auch nicht direkt zu einer großräumigen Umstellung in der Troposphäre. Als "Final Warming" bezeichnet man die nachhaltige Erwärmung der Stratosphäre am Ende des Winters, zwischen März und Mai. Der Polarwirbel bricht unwiderruflich zusammen und entsteht erst wieder zu Beginn des nächsten Winters. Zurück zum Dilemma der Meteorologen: Zeigen unsere Wettermodelle also vorerst keine Umstellung zu einer winterlichen Wetterlage, bleibt uns zum Beispiel noch der Blick in die Stratosphäre. Auf der Seite der Freien Universität Berlin werden verschiedenste Stratosphärenkarten sogar für jedermann angeboten (http://www.geo.fu-berlin.de/en/met/ag/strat/produkte/winterdiagnosti cs/). Selbst in einer scheinbar ausweglos unwinterlichen Wetterphase zeigen sich hier mitunter dünne "Strohhalme", an denen sich alle Winterfans festhalten können* Dipl.-Met. Adrian Leyser Deutscher Wetterdienst Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach, den 17.01.2015 Copyright (c) Deutscher Wetterdienst